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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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Kollege wird Sie zurück zur U-Bahn nach Westberlin bringen. Ihre Mark der DDR werden zurückgetauscht. Die Mehrfachberechtigung wird eingezogen. Die müssen Sie bei Bedarf neu beantragen.”
    “Mal sehen”, sagte Herr Lehmann, dessen Bedarf jetzt eher gedeckt war.
    “Sie können jetzt gehen.”
    “Kommen Sie”, sagte der andere und hielt ihm die Tür auf. Herr Lehmann ging mit ihm den Weg, den er vor Stunden, wie ihm schien, gekommen war, wieder zurück, und es war ein bißchen wie in einem Film, der rückwärts läuft. Er mußte sein Ostgeld in Westgeld zurücktauschen, obwohl ihm das angesichts der fünfhundert Mark, die er gerade verloren hatte, jetzt auch egal war, und dann schleuste der Beamte ihn gegen die vorgeschriebene Richtung durch die Paßkontrollen. Irgendwann blieb er stehen, Herr Lehmann auch.
    “Gehen Sie einfach da weiter”, sagte der Beamte und zeigte geradeaus, die Treppe runter geht’s zur U-Bahn nach Westberlin.”
    “Ja”, sagte Herr Lehmann. Tschüß dann.” Er ging weiter, und der Beamte blieb wortlos zurück. Als Herr Lehmann sich noch einmal umdrehte, stand er immer noch da und sah ihm nach. Herr Lehmann hob die Hand zum Gruß, aber der andere reagierte nicht. Er stand einfach nur da und sah ihm hinterher. Armer Willi, dachte Herr Lehmann und ging die Treppen zur U-Bahn hinunter.

    Kapitel 16

    KLARE WORTE

    Herr Lehmann hatte sich für den Abend seines Ost-Ausflugs eine Schicht im Einfall geben lassen, nur für den Fall, daß seine Ostverwandte ihn zum Abendessen einladen wollte, eine Abendschicht war da eine schöne Ausrede. Nun war alles anders gekommen, und es war erst drei Uhr, als er nach Hause kam. Er sah keine bessere Möglichkeit, die gewonnene Zeit zu nutzen, als sich ein bißchen hinzulegen, und er hatte sich schon ausgezogen, als das Telefon klingelte. Er dachte, es wäre Katrin, die den Osten verlassen hatte, um sich nach ihm zu erkundigen, aber dann war es bloß Erwin, der aus dem Einfall anrief, um zu fragen, ob Herr Lehmann auch früher zur Arbeit kommen könnte.
    “Ich bin eigentlich noch im Osten”, sagte Herr Lehmann, der keine Lust zum Arbeiten hatte und dem es außerdem wichtig war, für Katrin erreichbar zu sein. Sie macht sich sicher schon Sorgen, dachte er, die kommt jeden Moment aus dem Osten zurück und sucht mich.
    “Ich brauche dich dringend”, sagte Erwin, “ich steh schon selber hier. Ich weiß auch nicht, was los ist, Heiko ist krank, nicht mal Rudi kann kommen.”
    “Wer ist Rudi?” fragte Herr Lehmann.
    “Ist doch egal”, sagte Erwin, “kann ja eh nicht kommen. Die sind alle krank, heute abend kommt wenigstens Verena. ”
    “Wieso Verena? Ich denke, Karl ist heute abend dabei.”
    “Vergiß es”, sagte Erwin. “Der kommt nicht mehr.”
    “Wie?”
    “Ist eine lange Geschichte.”
    “Karl kommt nicht mehr?”
    “Kann ich jetzt nicht am Telefon erklären.”
    “Dann bleib mal da”, sagte Herr Lehmann, ich komme eben rüber.”
    Er zog sich wieder an, machte für Katrin einen Zettel an die Tür und ging ins Einfall. Dort stand Erwin hinter dem Tresen und schäumte Milchkaffee für ein paar alleinerziehende Mütter auf, die sich nachmittags gerne dort versammelten. Ihre Kinder machten einen Heidenlärm, während die Mütter zur Beruhigung den Milchkaffee mit Schuß nahmen.
    “Was ist mit Karl?” fragte Herr Lehmann.
    “Gute Frage”, sagte Erwin. “Gute Frage. Er kam heute mittag in die Markthalle. Ich war auch da, zum Essen. Kam gleich zu mir, der Vogel, und fing Streit an. Ich weiß nicht, war der besoffen oder was, Kerle, Kerle!” Er wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn. “So hab ich den überhaupt noch nicht erlebt. Meinte irgendwas von ich würde ihm eigentlich Geld schulden und ob ich schon mal ausgerechnet hätte, was er mir eingebracht hat und so Scheiß. Ich hab überhaupt nicht verstanden, was der wollte.”
    “Naja, wenn er besoffen war, das kommt schon mal vor.”
    “Was weiß ich, ob der besoffen war. Dann hat er angefangen zu randalieren.”
    “Karl?”
    “Aber sicher. Fing an, die Leute anzupöbeln.”
    “Und dann?”
    “Und dann?” Erwin ließ von der Milchaufschäumerei einen Moment ab und blickte Herrn Lehmann in die Augen. In seinem Gesicht stand tiefe Erschöpfung. “Hat der mir eine gescheuert.”
    “Nein.”
    “Doch! Hier!” Erwin zeigte auf seinen Wangenknochen, aber da war nichts zu sehen.
    “Wie jetzt? Da hat er dich hingehauen?”
    “Was meinst du denn! Und dann ist er

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