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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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weggelaufen.”
    “Glaube ich nicht.”
    “Frag doch Heidi, die war dabei, frag doch Heidi, wenn du mir nicht glaubst. Echt mal, Frank”, wenn es ernst wird, nennen sie mich Frank, dachte Herr Lehmann, “ich glaube, der ist langsam ein bißchen plemplem, der dreht ab.”
    “Karl doch nicht. Der hat nur eine kleine Krise. Wegen der Ausstellung und so.”
    “Frank, der hat mir eine gescheuert! Mir!”
    “Ja, Erwin”, sagte Herr Lehmann, das geht natürlich nicht.”
    “Hör auf mich zu verarschen, das ist ernst. Es ist ja nicht wegen mir. Der hat nicht mehr alle Marmeln an der Kiste.”
    “Erwin, das ist jetzt wirklich blöd formuliert.”
    “Was?”
    “Marmeln an der Kiste. Wo soll das denn herkommen?”
    Erwin zuckte mit den Schultern. “Naja, mir ist das egal”, sagte er. Bei mir arbeitet der jedenfalls nicht mehr. Wenn du sonst keine Probleme hast, als wie jemand was formuliert, bitte, kein Problem, mir ist das egal, ist dein Freund, bei mir arbeitet der jedenfalls nicht mehr.”
    “Erwin, jetzt koch das doch nicht so hoch.”
    “Nee, nee, ist mir egal. Da bin ich aber nicht der einzige. Kannst ja mal rumfragen, wegen mir die Deppen vom Abfall, das sagen alle. Mit dem stimmt was nicht.”
    “Hör mal, Erwin, okay”, sagte Herr Lehmann. “Dann kann ich jetzt aber auf keinen Fall arbeiten, ich muß erst mal nach Karl gucken. Ich bin erst um acht dran. Kannst du das solange noch durchhalten hier mit den gefährlichen Müttern?”
    “Ich weiß auch nicht”, sagte Erwin in resigniertem Ton. Ich habe …” Er hielt inne und begann stumm an den Fingern zu zählen, “acht Kneipen im Augenblick. Drei in Kreuzberg, zwei in Schöneberg, jetzt die in Charlottenburg, das sind sechs, und dann noch, warte mal, vier in Kreuzberg, der Eimer ist ja auch in Kreuzberg, nein fünf, egal, jedenfalls habe ich immer nur hier Ärger. Immer nur hier. Wenn was los ist, immer hier. Einfall und Markthalle. Kann mir das mal jemand erklären?”
    “Wahrscheinlich kann sich der Ärger nur da richtig entwickeln, Erwin, wo dein problemlösender Einfluß am stärksten ist.”
    “Versteh ich jetzt nicht.”
    “Du bist eben mehr hier als anderswo, Erwin. Bei den anderen Kneipen hast du immer noch Partner, die sich um den Scheiß kümmern, nur hier nicht.”
    “Naja”, sagte Erwin, hier fing eben alles an.”
    “Ja”, sagte Herr Lehmann, “hier fing alles an. Und ich muß mich jetzt mal um Karl kümmern, okay?”
    “Wolltest du nicht heute in den Osten?”
    “Ja, ich bin schon wieder zurück.”
    “Wie war’s denn so?”
    “Geht so.”
    “War da wieder Demo und so?”
    “Hab keine gesehen.”
    “Da geht ganz schön was ab.”
    “Ich geh dann mal, Erwin. Um acht bin ich wieder da. Halt durch.”
    “Ja, ja”, sagte Erwin. “Kümmer dich mal um den Vogel. Wer bin ich schon. Nimm auf mich keine Rücksicht.”
    “Trink erst mal einen Pfefferminztee, Erwin. Mit Milch.”
    “Jetzt hau schon ab.”
    Herr Lehmann ging hinaus und durch den Görlitzer Park zur Cuvrystraße. Karls Ladenwohnung war abgeschlossen, und die Roiläden waren wie immer heruntergelassen. Es gab keine funktionierende Klingel. Frank wummerte eine Zeitlang mit der Faust gegen die Tür, aber er glaubte sowieso nicht, daß sein bester Freund daheim war. Der ist irgendwo auf der Piste, dachte er. Wenn er so einen Scheiß macht, dann ist er noch unterwegs, dachte er, dann legt man sich nicht einfach aufs Ohr oder feilt an irgendwelchem Schrott. Herr Lehmann versuchte sich zu erinnern, wann jetzt die Ausstellung seines besten Freundes war, am zehnten oder elften oder so, ich hoffe nur, dachte Herr Lehmann, während er zur Schlesischen Straße hinüberging, um dort seinen Kneipencheck zu beginnen, daß er seinen Kram jetzt fertig hat, denn wenn er erst einmal so drauf ist, dachte er, dann kriegt er wahrscheinlich überhaupt nichts mehr hin.
    Zuerst überprüfte Herr Lehmann den Goldenen Anker, eine der Prollkneipen, die Karl in extremer Stimmung gerne besuchte, er stellte sich vor dessen großes Fenster und versuchte zu erkennen, wer sich da drinnen alles so tummelte, und ob Karl dabei war. Das war sinnlos, es war nichts zu erkennen, obwohl der Goldene Anker, und das war das einzig Gute, was Herr Lehmann über ihn sagen konnte, keine weißen Gardinen vor den Fenstern hatte, obwohl er das von seinem Charakter her hätte haben müssen, solche Kneipen haben eigentlich immer weiße Gardinen vor den Fenstern, dachte Herr Lehmann jedes Mal, wenn er den

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