Herr Lehmann
Görlitzer Straße zur Cuvrystraße. Wenn er erst einmal in seiner Wohnung ist, dachte er, wird alles gut. Karl folgte ihm brav und sagte nichts mehr.
“Gib mal den Schlüssel”, sagte Herr Lehmann, als sie vor Karls Laden standen.
Karl stand nur da und guckte sich interessiert um.
“Gib doch mal den Schlüssel”, sagte Herr Lehmann.
“Weißt du noch, wie wir zusammengewohnt haben?”
“Ja klar. Gib doch mal den Schlüssel. Oder schließ selbst auf.”
“Du hast immer Schokoladenpudding gemacht.”
“Ich habe nie Schokoladenpudding gemacht. Ich mag überhaupt keinen Schokoladenpudding.”
“Das war gut.”
“Gib doch mal den Schlüssel, Karl.”
“Ich muß noch was besorgen. Ich geh in die Markthalle.”
Karl wandte sich zum Gehen. Herr Lehmann schnappte ihn am Ärmel.
“Bitte, Karl, jetzt gib doch mal den Schlüssel.”
“Hab ich nicht.”
Herr Lehmann griff in Karls Anoraktaschen und fand ein riesiges Schlüsselbund.
“Welcher ist es, Karl?” fragte er, aber Karl stand nur da und grinste.
“Ist doch alles in Ordnung”, sagte er.
Herr Lehmann seufzte und probierte ein paar Schlüssel aus. Beim dritten klappte es. Er stieß die Tür auf und zog Karl mit hinein in die dunkle Werkstatt, dann schloß er die Tür und knipste ein Licht an. Was er sah, war ein Schlachtfeld. Die vielen Kunstwerke, die hier vor kurzem noch gestanden hatten, waren zertrümmert, und die Metallteile, aus denen sie zusammengeschweißt gewesen waren, lagen verstreut umher.
“Was war denn hier los?”
“Dekonstruktion”, sagte Karl. Dekonstruktion.” Er lachte fröhlich.
“Das ist dein ganzer Kram für die Galerie, Karl.”
“Dekonstruktion.” Karl setzte sich auf den Fußboden und nahm ein Stück Schrott in die Hand. So wie es aussah, war es der Zahnkranz eines Fahrrads. Da kann man was draus machen.” ”
Herr Lehmann war erschüttert. Aber, dachte er und riß sich zusammen, dies ist nicht der Moment, sich Gedanken über Kunst zu machen. Karl muß ins Bett, das ist das Wichtigste, dachte er. Der Aufgang zu Karls Wohnung, die über dem Laden lag und genauso groß wie dieser war, bestand aus einem wackeligen Mittelding zwischen Treppe und Leiter, das hinten im Laden nach oben führte. Eigentlich hatte die Wohnung einen Extra-Eingang übers Treppenhaus, aber den benutzte Karl nie, und Herr Lehmann war sich nicht sicher, ob es für diesen anderen Eingang überhaupt noch einen Schlüssel gab.
“Wir gehen mal nach oben, Karl.”
“Da kann man was draus machen.”
“Karl, du hast das alles kaputtgemacht, jetzt laß es auch so.”
“Herr Lehmann”, rief Karl und sah zu ihm hoch. Plötzlich fing er an zu weinen. Herr Lehmann hätte am liebsten mitgeweint, aber das ging natürlich nicht.
“Komm mit”, sagte er und half ihm auf.
“Herr Lehmann, du bist das einzig Wahre”, sagte Karl.
“Ist schon klar”, sagte Herr Lehmann. Wir gehen jetzt mal schön in die Wohnung und schlafen ein bißchen.” Mein Gott, dachte er, ich rede schon wie ein Krankenpfleger oder sonst so ein Blödmann.
Karl ließ sich von ihm durch den Laden und die Treppe hinaufschieben. Die Treppe war schwierig, Herr Lehmann mußte Karl mit beiden Händen am Hintern hochstemmen, und er hatte panische Angst, daß sein bester Freund dabei auf ihn drauffallen könnte. Dann stieg er hinterher. Sie landeten in der Küche von Karls Wohnung, und hier war alles noch schlimmer. Es stank nach Schimmel und altem Fett und überhaupt allem, was faulen konnte. Der Abwasch stapelte sich in der Spüle und auf dem Küchentisch, der Fußboden war übersät mit Müll und noch mehr Metallteilen, die Karl wohl nach seiner Dekonstruktionsaktion mit nach oben genommen hatte. Karl setzte sich mitten hinein und begann, den Karton einer Tiefkühlpizza in kleine Stücke zu reißen.
“Karl, du mußt aus diesen Klamotten raus.”
“Man müßte mal verreisen.”
“Funktioniert eigentlich deine Dusche?” Herr Lehmann betrachtete zweifelnd die Duschkabine mit Boiler, die in der Ecke stand. Er hatte selbst so eine, es war ein wackeliges Ding mit Wänden aus Preßpappe, und um zu duschen, mußte man das Wasser vorheizen, das dauerte, wenn es überhaupt funktionierte. Das kann er immer noch machen, dachte er, wenn er irgendwann wieder aufgewacht ist.
“Du hast doch immer nur von mir profitiert.”
“Was soll das denn jetzt heißen?”
“Ich will nicht mit dir unter die Dusche.”
“Brauchst du auch nicht, Karl.”
“Ich mach mir jetzt
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