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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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irgendwie gefiel. Vielleicht bin ich mit Katrin ja bloß gegangen, dachte er abschweifend. “So jung bin ich auch nicht mehr. Ich bin genauso alt wie Karl.”
    “Hätte ich nicht gedacht.”
    “Was soll ich denn jetzt machen?”
    “Ich weiß es auch nicht. Ich kann nicht mehr. Es tut mir leid, aber ich kann nicht mehr”, sagte sie und zog die Nase hoch. “Tu mir einen Gefallen, paß gut auf ihn auf. Ich glaube, dich mag er von allen am liebsten, ehrlich. Er hält viel von dir. Du bist der einzige, von dem er immer erzählt hat. Du bedeutest ihm viel mehr als ich. Und ich kann nicht mehr.”
    “Ist ja gut”, sagte Herr Lehmann, der Angst hatte, daß sie wieder zu weinen anfing. Außerdem war er gerührt. Er sah zu Karl hinüber, aber der saß nur auf dem Fußboden und spielte mit seinen Füßen. Der muß doch frieren, dachte Herr Lehmann, so kalt wie das ist. Statt dessen aber schwitzte er wieder, auch auf der Brust liefen ihm dicke Schweißtropfen herunter, und er atmete heftig. “Ich muß jetzt aufhören”, sagte er in den Hörer. “Ich kümmer mich drum.”
    “Mach das bitte”, sagte sie und wiederholte dann noch einmal: Bitte!”
    Herrn Lehmann war das unangenehm. “Alles klar, mach dir keine Sorgen”, sagte er. Tschüß dann.” Dann legte er auf.
    Er ging in die Küche und holte ein Handtuch, damit trocknete er seinem besten Freund den Schweiß ab. Dann suchte er ein T-Shirt und einen Pullover und zog sie ihm über. Karl ließ das alles mit sich geschehen. Mit der Hose war es schon schwieriger. Herr Lehmann fand zwar eine Jeans in der schmutzigen Wäsche, die noch ganz okay war, aber das Anziehen war mühsam und ging nur mit viel Überredung. So muß es sein, wenn man kleine Kinder hat, dachte er, als er Karl die Hose zuknöpfte, einen Gürtel durchzog und verschloß. Aber er war froh, daß sein bester Freund gerade so friedlich war und alles mit sich machen ließ. Dann ging er ans Telefon und bestellte ein Taxi.

    Kapitel 19

    URBAN

    Als sie am Urbankrankenhaus ankamen, ging Herr Lehmann mit Karl gleich zur Aufnahme der Ambulanz. Er kannte sich ein bißchen aus, er war schon zweimal hiergewesen, einmal mit einer Nebenhodenentzündung und einmal, als er sich beim Gläserwaschen die Hand aufgeschnitten hatte. Das war beides schon einige Jahre her, aber seitdem hatte sich hier nichts geändert.
    “Wo brennt’s denn?” fragte der Mann in der Aufnahme. Er saß in einer Art Glaskiosk mit Rundumsicht und hatte gute Laune.
    “Wir müßten mal einen Arzt sehen”, sagte Herr Lehmann. Karl stand neben ihm und ließ sich nichts anmerken. Ambulanz und so.”
    “Worum geht’s denn?”
    “Um meinen Freund hier.”
    “Was ist denn mit dem?”
    “Der fühlt sich nicht wohl.”
    “Wie, fühlt sich nicht wohl?”
    “Naja, so geistig.”
    “Sie meinen, so nicht ganz auf der Höhe?” Der Mann machte eine Handbewegung, als schraubte er sich eine Glühbirne seitlich in den Kopf.
    “Ja, so was.”
    “Drogen?”
    “Weiß nicht, vielleicht.”
    “Ach Kinders”, der Mann seufzte. “Na dann geht mal rein, da vorne durch die Tür. Macht er Krawall?”
    “Nein, eigentlich nicht. Jedenfalls nicht richtig. Vielleicht schon, was weiß ich.”
    “Dann setzt euch da mal hin, da kommt gleich einer.”
    Sie gingen durch eine Tür und landeten in einem Flur, der zugleich als Warteraum diente, und in dem es nach kaltem Zigarettenrauch und Desinfektionsmitteln roch. Außer ihnen war dort keiner. Herr Lehmann setzte sich und Karl auf Plastikstühle an der Wand und rauchte erst einmal eine. Plötzlich sprang Karl auf.
    “Hier können wir nicht bleiben”, rief er aufgeregt und wollte zur Tür.
    Herr Lehmann hängte sich an ihn dran.
    “Das geht gleich weiter, Karl.”
    “Ich muß den Hund füttern.”
    “Du hast keinen Hund, Karl.”
    Karl schwitzte wieder.
    “Man muß mehr arbeiten”, sagte er. Dann fing er an zu weinen. Herr Lehmann setzte ihn wieder hin. Kurze Zeit später ging eine Tür auf und eine Frau mit einem weißen Kittel kam heraus.
    “Sind Sie das mit dem Mann?” sagte sie zu Herrn Lehmann.
    “Ja”, sagte Herr Lehmann.
    “Na, dann kommen Sie mal.”
    Sie gingen in einen kleinen Raum, in dem eine Liege, ein Waschbecken, ein kleiner Schreibtisch und zwei Hocker waren, außerdem ein Schrank mit Verbandszeug und anderem Kram darin.
    “Setzen Sie sich mal hin.”
    Herr Lehmann versuchte, Karl auf den Hocker zu setzen, aber Karl blieb einfach stehen.
    “Nun setz dich schon, Karl.”
    “Nix”,

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