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Herr Lehmann

Herr Lehmann

Titel: Herr Lehmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sven Regener
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Schokoladenpudding.”
    Karl sprang auf und ging zu einer kleinen Speisekammer, in der er herumkramte. Es raschelte, und dann krachte es, so als ob ein Regalbrett zu Boden ging. Herr Lehmann zog ihn da weg.
    “Hör doch auf, das bringt doch jetzt nichts. Du hast ja gar keine Milch.”
    “Ich muß Milch holen.” Karl riß sich los und wollte wieder die Treppe hinunter.
    “Hör auf, das bringt doch jetzt nichts, Karl, du mußt dich mal hinlegen.”
    “Wie du meinst.” Karl ging in den Raum nebenan und durch diesen Raum, der als Wohnzimmer diente, mit Sofa und Bücherregal und allem, hindurch in ein kleines Schlafzimmer, das dahinter lag. Dort waren nur eine Matratze, ein Fernseher und ein großer Haufen alter Wäsche. Karl knipste ein Licht an, legte sich in voller, eingematschter Montur auf die Matratze und zog die Decke über sich. “So gut?”
    “Ja”, sagte Herr Lehmann, machte das Licht aus und schloß die Tür.
    Wenn er zwei Nächte durchgemacht hat, dachte er, dann braucht er nur einzuschlafen, und dann ist erst einmal für lange Zeit Ruhe.
    Im Gegensatz zur Küche war das Wohnzimmer in gutem Zustand. Sieht so aus, als ob er kaum hier war, dachte Herr Lehmann, und wenn, dann nur zum Kaputtmachen. Draußen war es schon dunkel. Von nebenan drang ein Schnarchen durch die Tür. Er atmete auf. Er zündete sich eine Zigarette an und beschieß, in der Küche ein bißchen Ordnung zu schaffen, bevor die Ratten das taten.
    Er fand unter der Spüle eine Rolle Müllbeutel und hatte gerade einen davon prall gefüllt, als er von nebenan ein Lärmen hörte. Er ging schnell hin und sah Karl, der im Dunkeln vor dem Bücherregal stand, einzelne Bücher herauszog und zu Boden warf. Herr Lehmann machte Licht. Karl grinste ihn an.
    “Das muß raus”, sagte er.
    “Warum schläfst du nicht weiter, Karl?”
    “Schlafen. Ich habe nicht geschlafen.”
    “Ich hab dich doch schnarchen gehört.”
    “Ich habe geschnarcht, aber nicht geschlafen.”
    Herr Lehmann mußte lachen. Selbst als Verrückter war Karl noch ziemlich gut.
    “Leg dich mal wieder hin, Karl, du mußt jetzt schlafen, ehrlich.”
    “Faß mich nicht an.”
    “Ich faß dich doch gar nicht an.”
    “Ich will nicht, daß die meinen Kram sehen.”
    “Was ist denn jetzt dein Kram? Und wer sind die?”
    Karl überlegte. Er schwitzte stark, der Schweiß lief ihm nur so übers Gesicht.
    “Du hast doch nur Scheiß im Kopf”, sagte er schließlich.
    Herr Lehmann hatte langsam die Schnauze voll. Das bringt alles nichts, dachte er, ich mache alles falsch.
    “Ich muß jetzt gehen”, sagte Karl und war in einer Geschwindigkeit, die Herrn Lehmann verblüffte, an der Treppe nach unten.
    “Nein, geh nicht”, rief Herr Lehmann und stürmte hinterher. “Bleib hier.”
    Er kriegte Karl, der schon halb im Fußboden verschwunden war, am Kragen seines Anoraks zu fassen. Karl hielt inne.
    “Du mußt schlafen, Karl. Du bist ja total fertig.”
    Karl kam wieder hoch und ging schnurstracks in das Schlafzimmer. Dort begann er sich auszuziehen.
    “Das hast du doch immer gewollt”, sagte er.
    “Nix.”
    “Wir müssen uns mehr mit dem Osten beschäftigen.”
    Karl hatte jetzt nur noch seine Unterhose an. Er legte sich ins Bett und zog sich wieder die Decke bis ans Kinn. Ich schlafe schon.” Er machte Schnar chgeräusche mit offenen Augen. “Nachti, Nachti, Herr Lehmann.”
    Herr Lehmann schloß die Tür und dachte nach. Dann ging er an Karls Schreibtisch und durchsuchte ihn. Es dauerte eine Weile, dann hatte er etwas gefunden. Es war ein Zettel mit einer Telefonnummer, die mit 691 begann, das war Kreuzberg 6l, und Herr Lehmann nahm an, daß es die Nummer von Karls Freundin Christine war, oder wenigstens die vom Savoy. Karl schnarchte immer noch affektiert vor sich hin, als er die Nummer wählte.
    “Savoy, Inge.”
    “Kann ich Christine sprechen?” 
    “Ist nicht da.”
    “Ist sie zu Hause?” 
    “Weiß ich nicht.”
    “Hör mal, ich brauche dringend ihre Nummer zu Hause. Das ist dringend.”
    “Wer spricht da überhaupt?”
    “Herr Lehmann. Es geht um Karl.”
    “Um wen?”
    “Um Karl. Ihren Freund.”
    “Ich bin neu hier.”
    “Hör mal, ich brauche ihre Nummer. Da ist doch sicher irgendwo ein Zettel mit ihrer Privatnummer.”
    “Du glaubst doch nicht, daß ich ihre Privatnummer rausgebe. Da kann ja jeder kommen.”
    “Okay, aber es ist wichtig. Es geht um Leben oder Tod.” Herr Lehmann war selber peinlich berührt von dieser dramatischen Formulierung,

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