Herr Lehmann
“Komm, Karl.” Er führte einen Arm unter Karls Arm und zog ihn ein bißchen nach oben, da stand er auf.
“Wir gehen mal nach Hause”, sagte Herr Lehmann.
Karl stand unschlüssig und leicht schwankend da. Er sah sich ratlos um.
“Komm schon, los geht’s”, sagte Herr Lehmann. Er legte seinem besten Freund eine Hand auf den Rücken und schob ihn sachte zur Tür. “Wird Zeit für ein bißchen Matratzenhorchdienst, technischer Dienst am Auge und so.” Manchmal, dachte Herr Lehmann, sind diese Bundeswehrbegriffe seltsam beruhigend.
Draußen dämmerte es bereits, und die Sache gestaltete sich für Herrn Lehmann schwierig. Wenn er seinen besten Freund losließ, lief er sofort aus dem Ruder, er war sehr sprunghaft und wollte dauernd woanders hin. “Laß uns in die Potse gehen und einen wegstecken … wo ist mein Kreuzschlitzschraubenzieher … da muß man wachsam sein, wegen dem Spreewaldbad und dem Chlor, dafür gibt es so Streifen …”, so redete er in einem fort und Herr Lehmann versuchte, irgendwie dagegenzuhalten: “Wir waren doch noch nie in der Potse, das ist doch gar nicht unser Ding … , den brauchst du jetzt nicht … , dann gehen wir eben nicht schwimmen …”, aber es hatte überhaupt keinen Zweck, sein bester Freund blieb nie bei einem Thema stehen, und er reagierte auch nicht auf Herrn Lehmanns Antworten, er wechselte wie aufgezogen und willenlos die Richtung seiner Gedanken und Reden, und dazu passend wollte er jedes Mal einen anderen Weg einschlagen, mit jedem neuen Gedanken zog es ihn hierhin oder dorthin. Herr Lehmann hatte keine Lust, ihn am Arm festzuhalten, das hatte so etwas polizeimäßiges, und Karl schien es auch nicht zu gefallen, aber Herr Lehmann hatte große Angst, daß Karl ihm weglief, am Ende gar auf die Wiener Straße und vor ein Auto. Deshalb nahm er ihn an der Hand wie ein kleines Kind, und das half, Karl beruhigte sich und ging ohne Gegenwehr mit, nicht aber ohne pausenlos weiter Quatsch zu reden:
“Was ist eigentlich mit dir und Heidi?”
“Was soll schon sein mit mir und Heidi?”
“Macht doch nichts!”
“Was macht nichts?”
“Ohne Eis kann man Whisky eigentlich gar nicht trinken!”
“Das sehen aber viele Leute anders.”
Irgendwann gab Herr Lehmann es auf. Er drang ja doch nicht zu ihm durch. Es schien überhaupt keine Rolle zu spielen, ob er etwas sagte oder nicht. Vielleicht wird es bei ihm zu Hause besser, dachte er verzweifelt, vielleicht muß er sich nur mal richtig ausschlafen, zwei Nächte durchgemacht, dachte er, da würde ja jeder verrückt werden.
Sie gingen durch den Görlitzer Park, der immer noch, wie seit Jahren schon, eine Baustelle war und der, wie es Herrn Lehmann schien, auch immer eine Baustelle bleiben würde, Herr Lehmann konnte sich schon gar nicht mehr erinnern, wie das früher hier mal ausgesehen hatte. Sie waren ein seltsames Paar, Herr Lehmann und sein riesiger Freund, wie sie da händchenhaltend über die durchgepflügte, aufgeweichte Erde stapften, Karl dabei unaufhörlich redend, er murmelte jetzt nur noch so in sich hinein, und Herr Lehmann verstand gerade mal einzelne Fetzen, “Schweine … immerhin … muß man auch mal … wird endlich mal renoviert, das wurde auch Zeit, DAS WURDE AUCH ZEIT”, rief sein bester Freund plötzlich ganz laut und blieb mitten im Park stehen.
“Was wurde auch Zeit?”
“Daß die mal was tun hier”, sagte Karl. Sonst werden die ja nie fertig.”
“Ja, Karl. Aber andererseits arbeitet ja gerade niemand”, sagte Herr Lehmann. Vielleicht kann ich ihn an dem Thema mal ein bißchen festhalten, dann kommt er vielleicht zur Besinnung, dachte er in seiner Verzweiflung. “Das ist ja das Komische”, fuhr er fort, daß hier dauernd diese Baumaschinen rumstehen, Bagger und der ganze Scheiß”, er zeigte für Karl auf die Bagger und Raupen, die inmitten großer Sandberge links von ihnen standen, “aber andererseits arbeitet ja mal wieder niemand. Hier arbeitet doch schon seit Tagen keiner mehr. Ich meine”, ließ er gar nicht erst eine Pause aufkommen, “heute ist Donnerstag und gerade mal vier, naja, halb fünf, da haben die wahrscheinlich schon Feierabend, aber in den letzten Tagen haben die auch nicht gearbeitet, oder wenn, dann weiß ich nicht, wie, weil das hier ja seit Wochen gleich aussieht.” Ich rede belanglosen Scheiß, aber ich muß ihn an das Thema binden, dachte Herr Lehmann, ihm war, als wäre das der Ausweg, nur ein konkretes Gespräch, ein richtiges Gespräch von ihm und
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