Herr Merse bricht auf
jauchzen…
Er griff zu der schräg im Sand steckenden Flasche und goss erneut die beiden Gläser voll. Mit ruhiger Hand. Er hatte geweint, ja, aber nun war er ruhig. Beide nippten an ihrem Wein. Herr Merse vergaß, den Käse anzubieten. Er genoss die Dämmerung, den Meeresgeruch, den stillen Abend und sein Glück. » Annemarie«, sagte er plötzlich und erschrak vor dem Klang seiner eigenen Stimme. Schnell fügte er hinzu: » Klingt doch fast wie ›Anemone‹. Nur o statt a und ri weg. Ich hieß früher Schwan.« » Mit Vornamen?«, fragte Frau Luner. Als er lachte, lachte auch sie. » Ist fast wie Joels Frage: ›Oben oder unten Stier?‹«, sagte er. » Entschuldigung«, lächelte sie. » Ist wohl der Wein. Dabei haben Sie ja was gefragt. Ob Sie Dagmar mit der heimlichen Abtreibung konfrontieren sollen. Ja, so verzweifelt wie Sie eben waren, da wäre es unbedingt gut, mit Dagmar einmal zu reden. Damit Sie verstehen, warum es so kommen musste.«
» Musste?«, entfuhr es Herrn Merse. Er war wie auf Knopfdruck aufgebracht. Tölpelhaft wiederholte er: » Wieso musste?«, diesmal in gedeckeltem Ton. Dann brach es erneut und lauter durch: » Von mir aus hätte das doch nicht sein müssen! Ich hätte das Kind doch gewollt!« Frau Luner zögerte mit einer Antwort. Sie schien sie genau zu überlegen. » Damit Sie verstehen, wieso alles so gekommen ist«, sagte sie nach einer Weile. Herr Merse erinnerte sich, dass auch Johannes von verstehen gesprochen hatte. Verstehen, nicht konfrontieren. Aber so ging es denn doch nicht! » Sie hat es heimlich getan! Ohne mich überhaupt zu fragen! Einfach meinen… meinen…« Er wollte »Samen« sagen, aber stoppte in letzter Sekunde, da er mit einer trotz allem doch noch fremden Frau so ein Wort einfach nicht über die Lippen brachte. » … meinen Anteil einverleibt und damit gemacht, was sie wollte…« Er begann wieder zu zittern. » Sie kennen sich mit so etwas nicht aus. Zu so einer Hinterhältigkeit ist eine Frau wie Sie gar nicht imstande. Sie haben zwei Kinder. Sie haben keines abgetrieben. Auch wenn Sie damals in einer Krise mit Karl waren. Wegen des Studenten. Der plötzlich weg war. Und Sie saßen da und waren schwanger.«
Herrn Merse brach der Schweiß aus. Was sagte er! Bevor er sich weiter hineinritt, hörte er Frau Luner leise sagen: » Ich habe damals auch an eine Abtreibung gedacht.« » Gedacht! Gedacht!«, polterte er und beugte sich aus seiner Ecke vor. » Aber Sie haben es nicht getan!« Fast hätte er ihr beschwörend seine Hand auf das Knie gelegt. Er hielt sich zurück. » Das stimmt. Aber manchmal hab ich gedacht, ob es nicht besser gewesen wäre.« Der Satz kam unvermutet. Wohl auch für sie. Frau Luner beeilte sich, redete stockend: » Nein… äh, nein! So meine ich es nicht. Ich liebe Joel über alles. Aber in was für eine Lebenssituation hab ich ihn gebracht! Ich bin ja mit schuld, dass Karl ihn nicht annahm. An der Entfremdung zwischen Karl und mir bin ich mit schuld«, sagte sie nachdrücklich gegen Herrn Merses verneinende Gesten, sein empörtes Kopfschütteln. » Wie denn schuld?«, warf er heraus. » Wieso denn Sie?« »Na, ich habe Karl Natascha einfach überlassen. Nicht um sie gekämpft…«
» Wer ist Joels Vater?« Die Frage kam pfeilschnell.
Es war ganz still im Strandkorb. Frau Luner schob das Tischbrettchen zurück und stellte das Glas auf die leere Stelle zwischen ihnen.
Er war zu weit gegangen. Herrn Merse brach der Angstschweiß aus. In hektischem Stakkato entschuldigte er sich. » Das geht… das geht mich gar nichts an. Bitte. Bitte. Es rutschte nur so heraus. Blöd von mir. Ich weiß selbst nicht, wieso.« (Lüge!) Zu seiner Überraschung stand sie aber nicht auf, wie er befürchtet hatte, sondern bat ihn um einen weiteren Schluck Wein. Er goss vor Aufregung das Glas übervoll, und wischte alles mit einem Handtuch ab. (Weißes Handtuch, Rotweinflecken. Mann.) » Joels Vater ist Karl«, sagte Frau Luner ohne Umstände. » Ich hatte ein so schlechtes Gewissen wegen meines Seitensprungs. Und so kam es dazu.… Sind Sie denn unsicher, ob Ihr Kind von einem anderen Mann war? Weil Sie so fragen? Dass Ihre Frau den Dirigenten vielleicht damals schon kannte?«
Frau Luners Handy machte ein Geräusch in diese ungeheuerlichen Themen hinein. Sie zog es aus der Hosentasche und schaute auf das Display. » Ich A. Bitte komm«, las sie vor. Herrn Merse lief ein warmer Schauer durch den Körper über diese Vertraulichkeit. » Ich muss nach
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