Herr Merse bricht auf
begann dort zu suchen, wo der Korb gelegen hatte. Die Hände, vor allem die Fingerspitzen, taten ihm weh. Finale Enthornung, dachte er bitter. Der Schlüssel war nicht da. Herrn Merse war nach Aufgeben zumute, er arbeitete aber dagegen an. Er zwang sich sogar, auch bei der 1051 zu suchen. Wieder die Einteilung in Viertel. Wieder das Anheben des Korbs. Und nach langem Gegrabe mit inzwischen wunden Fingern wieder nichts. Er schaute auf die Uhr. Ein Uhr vierzehn.
Wohin in Wenningstedt bei Wind und Regen um ein Uhr vierzehn? In einen Kampener Edelgasthof traute er sich in seinem Zustand nicht. Denghoog? Das Hünengrab war nachts abgeschlossen. Was war mit den Bunkerresten in den Dünen, wo die Ferienkinder damals ihre ersten Zigaretten rauchten? Aber er besaß keine Taschenlampe. Die Nacht durch laufen, bis das erste Restaurant aufmachte? Ausgeschlossen. Er war todmüde. In der Strandkorbschublade der Luners fand er eine halbvolle Flasche Mineralwasser. Damit trottete er zurück zu 1423 . Und wenn er sich unter den Strandkorb legte? Der stehende Strandkorb bot nicht genug Schutz. Eine Sandmulde buddeln und den Korb darüberlegen? Zwei jugendliche Ferienkinder hatten das damals in ihrer Verliebtheit getan. Sich ein Liebesnest gebaut. Man hatte sie zur Strafe nach Hause geschickt. Herr Merse hatte das Liebespaar bewundert und sich ausgemalt, was sie in ihrer Strandnacht miteinander erlebt hatten. Die beiden gaben ihm jetzt Mut. Er war zwar allein, seine Geliebte hielt Wacht am Bett ihres Sohnes. Aber sie brauchte ihn, seine Brötchen, seine Fürsorge, seine Anteilnahme. Er hielt ihretwegen durch. Er war nur momentan allein und obdachlos. Unter dem Korb wäre er geschützt. Auch wenn der zu kurz war für ihn. Er müsste sich krümmen wie ein Embryo. Klein Mose im Körbchen, Groß Merse im Korb. Doch, es müsste gehen, wenn er den Nachbarkorb mitbenutzen würde, um Beine und Füße zu schützen.
Herr Merse grub sich eine passende Schlafmulde. Zog mühsam den Nachbarkorb heran. Als er die 1423 , mit beiden Händen hinter und über sich greifend, nach unten über sich zog und langsam herunterließ, bekam er schlagartig Angst, sich zu verheben. Jetzt ein Hexenschuss, und er wäre geliefert. Er könnte mit einem Bandscheibenvorfall den Korb überhaupt nicht mehr hochstemmen. Läge Gregor-Samsa-artig da. Und die Beine würden unten rausgucken, klitschnass. Herrgott. Aber es klappte. Er wand sich wieder heraus und legte vorsichtig auch den Nachbarkorb um. Kroch dann in die Sandmulde unter die Körbe. Unter den Kopf stopfte er den Übernachtungsbeutel, aus dem er vorher noch das Handtuch genommen hatte. Das kam als Kälteschutz unter den Po. Er fror trotzdem. Er dachte an das Bett in Niebüll. Zu spät. Nie nach Büll. Er versuchte gegen die Kälte anzualbern. Lobte sich für den Anorak. Ohne den wäre die Aktion Strandkorb ganz unmöglich gewesen. Er freute sich seiner Nottat. Morgen würde er den Anorak zurückbringen, sich entschuldigen, vorgeben, dass er ihn verwechselt hätte. Oder auch nicht.
Er konnte nicht einschlafen. Nach einer halben Stunde schmerzten ihm alle Glieder. Er zitterte vor Kälte. Der Regen trommelte auf sein Korbdach. » Annemarie, dies tu ich für dich«, stöhnte er. Er wollte, musste durchhalten. Er dachte an sein Söhnchen. Schließlich suchte er mit klammen Händen im Stockdunkeln nach den Tabletten im Überlebensbeutel. Die Nachttabletten waren in einer anderen Packung als die Morgentabletten. Er fingerte herum, bis er sicher war, dass er die richtigen hatte, und drückte drei heraus. Drei würden wirken. Er nahm sie mit dem restlichen Mineralwasser ein. Und wartete. So kalt und unbequem wie im Korbbauch ist es im Mutterbauch nicht, dachte er. Ich warte auf den Schlaf und das Aufwachen, auf den Morgen. Das Leben. Das war dir alles nicht vergönnt, Söhnchen. Aber du bist jetzt bei mir. Dies ist die Nachtfahrt, wir sind im Walfisch, wir kommen heil an. Du erzählst alles Joel. Und ich Annemarie. Anemone. Ihm wurde dumpf im Kopf. Immer lauter und lauter prasselte der Regen, rauschte die Brandung, prasselte der Regen .
Letzter Tag (wieder Montag)
Herr Merse erwachte von einem dumpfen Pochen. Klopfte etwas in ihm? Kam es von außen? Er war verwirrt. Dann hörte er eine Stimme und nochmaliges raues Wummern. Jemand zog ihn unsanft am Bein. » Kommen Sie mal hoch! So geht das hier nicht! Die Körbe sind vermietet, Sie Suffkopp. Hoch jetzt!« Hände hoben den Korb an. Herr Merse starrte blinzelnd in einen
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