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Herr Merse bricht auf

Herr Merse bricht auf

Titel: Herr Merse bricht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: K Nohr
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grauen Morgenhimmel mit ein paar blauen Einsprengseln. Es hatte aufgehört zu regnen. Nach einem Moment erkannte er den Strandkorbvermieter. Und der erkannte ihn. » Nanu?«, sagte er. » Ich mach morgens immer ’n Gang durch meine Körbe. Ob alles in Ordnung ist. Ich dachte… na, der eine ist ja Ihr Korb. Ist das nicht ’n bisschen unbequem?« » Es gab Stress«, brachte Herr Merse heraus. » Oh, na denn. Immer die Frauen, ne?« Er zwinkerte und schob seine Schirmmütze mit dem Messinganker darauf zurück. » Wetter wird besser. Na, das wird schon wieder«, sagte er tröstend zu Herrn Merse. » Ja«, war alles, was Herrn Merse einfiel. » Vielen Dank.« Der kräftige Mann stapfte weiter. Den Nachbarkorb hatte er schon zurückgestellt.
    Es war acht Uhr morgens. Er hatte es geschafft. Ohne Barbara. Er stand auf. Seine Glieder führten ein Eigenleben, so steif und kalt. Wie das Schaf auf der vereisten Wiese, dachte er. Im Zeitlupentempo zogen die Gedanken durch seinen Kopf. Rettungshornist. Anemone. Brötchen. Joel. Er selbst. Wie sah er überhaupt aus? Er schaute an sich herunter. Unter dem fremden Anorak guckte zerknittert und sandig seine helle Sommerhose hervor. Er stand in Socken. Wo waren die Schuhe? Er fand sie neben dem Korb, halb voll Sand. Er bückte sich und entleerte erst den einen, dann den anderen. Er zog sie über die feuchten Socken an und strich die Hosenbeine glatt. Das Handtuch schüttelte er gründlich aus und steckte es in den Übernachtungsbeutel. Die Mineralwasserflasche legte er in die Schublade. Als er sie zuschob, sah er den Schließfachschlüssel. Er musste direkt daneben geschlafen haben. Er steckte ihn auch in den Übernachtungsbeutel. Wie alles schmerzte. Gefunden– verloren.
    Er stolperte den feuchten leeren Strand entlang Richtung Ort und hoffte inständig, dass das Café in der Strandstraße schon offen war. Er hatte Glück, gerade wurde aufgeschlossen. Er bestellte eine Tasse Kaffee, trank benommen und ging dann aufs Klo zum Zähneputzen. Sein Gesicht im Spiegel sah ungewohnt aus. Stoppelig und fahl. War er gealtert? Er zahlte und holte beim Bäcker acht Brötchen, verschiedene, für jeden zwei. Und für Joel zusätzlich eine Tüte Zwieback. Das Kind auf der Zwiebacktüte schaute ihn rotbackig und gesund an. Auch das schmerzte ihn. Je mehr er sich dem Lerchenweg näherte, desto langsamer wurden seine Schritte. Vor der Tür stand er eine Weile still. War er aufdringlich? Lästig? War es nicht egoistisch, die Krankheit des Jungen zu nutzen, um in die Nähe Annemarie Luners zu gelangen? Aber hatte er denn eine Wahl? Nein, er hing fest. Schon wieder hing er an einem Band. Er betrachtete die Brötchentüte. »Bäckerblume« stand darauf. Brötchen als Blumen. Statt Blumen.
    Er hörte ein Auto das schmale Sträßchen heranrollen, drehte sich um und erschrak. Es war ein Krankenwagen. Die Haustür der Pension wurde geöffnet, und Herr Merse sah in Annemarie Luners weißes Gesicht. Die zwei Männer aus dem Krankenwagen gingen auf sie zu. Frau Luner sah Herrn Merse mit seiner Brötchentüte stehen und lächelte kurz. Er folgte ihr einfach ins Haus. Die Männer trugen den schlafenden Joel auf einer Trage die Treppe herunter und schoben ihn auf einem Gestell in den Krankenwagen hinein. Frau Luner stieg dazu und setzte sich an das Kopfende. » Was hat er?«, fragte Herr Merse in den offenen Krankenwagen hinein. » Er muss überwacht werden. Er hat Krampfanfälle.« » Wo fahren Sie hin? In die Inselklinik?« » Nein, nach Westerland. Vielleicht müssen wir ihn auch in eine größere Stadt bringen, die eine neurologische Abteilung hat.« » Wollen Sie was essen?«, fragte Herr Merse hilflos, aber die Besatzung drang auf Eile und machte die Tür zu. Der Wagen fuhr ab.
    Herr Merse ging mit der Tüte nach oben, wo Natascha unschlüssig an der Tür stand. » Hallo«, sagte Herr Merse. » Das ist ja was. Wie war das mit den Krampfanfällen?« Natascha erzählte ihm, sie habe gar nichts mitbekommen. Sie schlafe immer sehr fest und sei gerade eben erst von ihrer Mutter aufgeweckt worden. Sie stand wie eine taufrische Kornblume verwirrt im Türrahmen. » Willst du ein Brötchen?«, fragte Herr Merse. » Nein, danke. Ich bekomme immer bei Frau Meisenhopf das Frühstück. Die Pension ist hier mit Frühstück«, fügte sie erklärend hinzu. » Aber danke.« Sie wartete wohl, dass Herr Merse ging. Aber so konnte er nicht gehen.
    » Wie wird es nun?« » Mama hat gesagt, ich soll vorsichtshalber packen.

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