Herr Möslein ist tot (German Edition)
Findling, muss ich rechts ran rollen. Irritiert suche ich die Tankanzeige, bis mir einfällt, dass es so etwas im Trabi gar nicht gibt. Ich öffne also die Motorhaube, finde den Benzin-Messstab, tauche ihn in den Tank und freue mich über die genaue Skalierung, die mir 15,3 Liter anzeigt. Dann erst dämmert es meinem Hirn, dass ich einfach nur den Benzinhahn aufdrehen muss, um weiterfahren zu können. Die Krückstockschaltung ist für mich dagegen kein Problem. Immerhin hatte ich mit meinem eigenen Trabi auch schon die Fahrprüfung absolviert. Mit ein wenig Bestechung, etwas unbeholfenem Jungmädchencharme und zwei Autogrammkarten von Betty und mir mussten wir nicht – wie viele andere – sechs bis zehn Jahre auf das Absolvieren der Fahrschule warten. Wir wurden dazwischengeschoben. Aufgrund tränengefüllter Augen und weiblich-hilflosem Blick bestand ich die Prüfung, obwohl ich mit meinem Trabi zweimal falsch herum in eine Einbahnstraße gefahren war. So etwas funktioniert mit Anfang zwanzig, mit fünfzig hätte ich keine Chance bei den Prüfern gehabt, trotz blondierter Haare. Pauli plappert wegen eines angekündigten Parkspaziergangs mit der Kindergartengruppe vorfreudig auf der Rückbank, und ich bin froh, als ich sie gegen neun Uhr bei Frau Schmidt im Kindergarten des Karl-Marx-Werkes abgeben kann. Obwohl das Thermometer heute Morgen bereits 12 Grad anzeigte und die Sonne ein paar Flecken durch die Wolken auf die Straße sprenkelt, erscheint mir der Tag grau. Mein steingrauer Trabi rollt schnaufend durch die Ernst-Thälmann-Straße, die Bürgerhäuser links und rechts am Straßenrand unterscheiden sich nur durch verschiedene Nuancen desselben Grau, haben Putzflecken auf dem Gemäuer wie Ekzeme in grauen Gesichtern mit kleinen grauen Fensteraugen. Meine Cousine aus Westberlin hatte einmal bei einem Besuch in Potsdam gesagt: »Oh, wie herrlich verkommen es hier aussieht!«
Zwanzig Jahre später muss man in den Westen fahren, um sich vorstellen zu können, wie es ’ 89 in der DDR aussah. In der Zukunft werden Milliarden in die neuen Länder transferiert, alle Häuser und Straßen werden saniert; nur die großen alten Bäume am linken Straßenrand werden dem Aufbau Ost zum Opfer fallen. Im Moment wünsche ich mir bunte Graffitis an den Häuserwänden, obwohl sie mich sonst immer furchtbar stören. Doch an Graffitis fehlt es in Babelsberg ’89. Nur die Klamotten der zur Arbeit hastenden Potsdamer tupfen Farbpunkte ins Straßenbild. Ich sehe viele dünne Legginsbeine, Frauen mit riesigen türkisen, gelben und roten Ohrringen und Schultern, breit wie die der Panzerknackerbande, in pinkfarbenen und schwarzen Jacken. Die Mode unterscheidet sich nicht maßgeblich von der im neuen Jahrhundert, denke ich versöhnlich.
Ich muss zur Sparkasse am Stern, einem Neubaugebiet in Potsdam. Um mir neue Zigaretten und ein bisschen Kuchen für Jürgens Besuch in der Stern-Kaufhalle besorgen zu können, brauche ich Geld. Im Portemonnaie fand ich nur noch ein 5-Mark-Stück mit der Aufschrift » XX Jahre DDR « und eine Alu-Mark von 1978. Kurz nach neun Uhr stehe ich eingeklemmt in der Eingangstür des ostdeutschen Bankinstituts, dicht gedrängt an meinen Vordermann, und habe Angst, wieder zu spät zum Training zu kommen. Von den drei Schaltern der Sparkasse ist nur einer besetzt, die Menschenschlange ringelt sich in engen Sinuskurven und quillt fast aus dem Schalterraum. Nach gefühlten dreißig Minuten inmitten komisch riechender Zeitgenossen habe ich Glück. »Kommse hierher!«, kreischt eine schrille Frauenstimme durch die dicke Luft im Raum. Der Schalter direkt neben dem Eingang öffnet und zack, bin ich dran und schaue in ein ungeschminktes Gesicht, umrahmt von einer verfilzten Kaltwelle. Ich grinse beim Anblick des pinkfarbenen Jacketts, dessen Nähte nicht nur über den riesigen Schulterpolstern, sondern auch am Busen zum Zerreißen gespannt sind. Der Blick der Trägerin weniger. Der ist gelangweilt und abwartend.
»Äh, ich wollte gern Geld holen. 100 Mark!«
»Ausweis, Sparkassenausweis und ausgefülltes Formular!« Forsch und mit einer großen Portion Unverständnis in der schrillen Stimme zählt sie auf, was ich bereits pflichteifrigst hätte vorlegen müssen. Während ich in meiner übersichtlichen Handtasche auf die beiden Ausweise stoße, frage ich: »Oh, wo gibt es denn die Formulare?«
Genervt wühlt Pinki in einem Schubfach und reicht mir das Gewünschte.
»Ausfüllen!« Ich beeile mich beim Eintragen der
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