Herr Möslein ist tot (German Edition)
gewollt, dass junge Männer immer nur das Eine im Kopf haben, damit wir Frauen diesen Umstand als ein Druckmittel zur Erfüllung unserer Wünsche nutzen können. Darum flüstere ich mit rauer Stimme vielversprechend: »Immer alles schön der Reihe nach, mein Lieber. Erst erzählst du mir von deinen Rechercheergebnissen, und dann überlegen wir uns weitere, notwendige Schritte!« Der erotische Eindruck, den ich erwecken wollte, scheint bei Jürgen nicht angekommen zu sein. Er ist beleidigt. »Weißt du eigentlich, wie viele Brigitte Lummers es in Westberlin gibt?«
»Nein?«
»Sehr viele! Und ich habe sie alle drei durchtelefoniert!« Jetzt nicht laut loszulachen erfordert von mir fast unmenschliche Körperbeherrschung. Ich höre Jürgens mit anklagender Stimme vorgetragenen Monolog über seine Heldentaten und zwinge mein Gesicht in einen Ausdruck voll Bewunderung. Dabei suche ich krampfhaft, nach einer während meiner Moderatorentätigkeit erlernten Strategie, ihn zu unterbrechen, um endlich an die für mich lebenswichtigen Informationen zu kommen. Da wird Jürgens Redeschwall von einem donnernden Hämmern an der Tür unterbrochen. Wie von der Tarantel gestochen springen wir gleichzeitig auf und schauen uns mit schreckgeweiteten Augen an. Dann schweift Jürgens Blick, wahrscheinlich auf der Suche nach einem Versteck, hektisch durchs Zimmer. Ich zucke schicksalsergeben mit den Schultern. Dann schleiche ich mich an die Zimmertür und öffne sie vorsichtig.
»Ja?«, hauche ich durch den Türspalt und blicke im dämmrigen Licht des langen Hotelgangs auf einen Anzugmann, nur eine Handbreit größer als ein Campingbeutel, bekleidet mit beigem Jackett und unpassend grün-gelb gestreiftem Schlips, den ich als den des Schreibtischmanns neben der Rezeption erkenne. Von wegen Hotelpage! Ha! Ich sehe sein fettiges, akkurat gescheiteltes Haar, während er sehr ernst auf mein nicht vorhandenes Dekolletee blickt. »Frau Meissner, Sie haben Besuch eines Bürgers der Bundesrepublik Deutschland auf Ihrem Zimmer. Ist das richtig?«, kommt der Campingbeutel gleich zur Sache. Seine Worte ziehen mir den Boden unter den Füßen weg. Wie ein Tsunami überschwemmt mich körperliche Angst vor Strafverfolgungsmaßnahmen, von deren Möglichkeit ich 1989 noch gar nichts wusste. Aber mein Kopf reagiert und überlegt, was jetzt zu tun ist. Seit der Grundschule bin ich darüber belehrt, denke ich, wie man bei einem Atombombenabwurf zu reagieren hat. Ob ich mich aber im Falle eines wahrscheinlich kurz vor der Explosion stehenden Campingbeutels auch mit den Füßen Richtung Bombe flach auf den Boden legen und mit einem weißen Tuch abdecken sollte, fällt mir gerade nicht ein. Darum sage ich einfach nur: »Äh, ja?«
»Das ist verboten. Ich möchte den Herrn bitten, sofort das Zimmer zu verlassen. Ich warte hier!« Ich knalle ihm die Tür vor der Nase zu, bin schnappatmig vor Angst und drehe mich um. Jürgen steht mit seiner Tasche in der Hand wie ein gehetzter Hund mit flackerndem Blick vor mir. Jegliches Heldentum ist aus ihm gewichen. Wie eine Marionette der Augsburger Puppenkiste schlackert er am ganzen Körper und will nur noch das Eine: RAUS .
»Wo ist der Zettel?«, flüstere ich geistesgegenwärtig, als Jürgen schon die Tür zu seinem persönlichen Fluchttunnel öffnet. Er zuckt kurz mit den Schultern und verschwindet. Was für ein Albtraum! Meine hastig entzündete Zigarette und die Inhalation des beißenden Rauchs beruhigen mich ein wenig. Ich überlege, was so ein entdecktes Treffen mit einem Wessi für Folgen hat. Rein staatssicherheitsmäßig. Hoffentlich versaut der Campingbeutel Betty und mir nicht unsere Auftritte in der Bundesrepublik. Das wäre tragisch. Noch tragischer als die Tatsache, dass ich immer noch keinen Anhaltspunkt habe, wo ich Carsten treffen könnte. Ich lasse mich wie ein nasser Sack auf den Hotelstuhl plumpsen und lausche in die Stille des Zimmers. Während ich an meiner Beruhigungskenton sauge, versuche ich zu ergründen, wie uns der Campingbeutel auf die Schliche gekommen sein könnte. In meinem Hypothalamus herrscht ein Betrieb wie sonst in meinem PC , wenn ich zu viele Befehle auf einmal anklicke. Fragen schwirren wie Doppelklicks durch meinen Kopf. Hat der Campingbeutel an allen Zimmern der 20. Etage geklopft? Oder wusste er genau, wo er hingehen musste? Klickklick! Wie kann er rausbekommen haben, dass Dornheim ein Wessi ist? Man sieht es ihm klamottentechnisch keinesfalls an. Klickklick. Von Heinzi?
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