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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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seinem Fuß habe ich als Studentin als Tellerwäscher der ansässigen Disco gearbeitet und ab 1997 als Moderatorin des jungen Senders TV -Berlin per Telefon Singles bei der Suche nach einem Partner geholfen. Vom Tellerwäscher zur Fernsehmoderatorin! Es ist genau ein Uhr, und die Straßen sind im Vergleich zu dieser Zeit nach der Wiedervereinigung gespenstisch leer. Es steht nicht mal jemand an der Weltzeituhr. Gut, dass wir uns im Zimmer verabredet haben, auf der Straße wären wir aufgefallen. Ich zünde mir eine Kenton an.
    Das Hotelzimmer sieht nicht schlechter aus, als die vielen Zimmer, in denen ich mit Carsten ab 2009 während meiner Comedy-Tourneen durch ganz Deutschland geschlafen habe: ein Doppelbett mit der obligatorischen Grafik darüber, links und rechts je ein Nachttisch, dazu Kleiderschrank, Schreibtisch, kleiner Tisch mit Sessel, Teppichboden und kleines Badezimmer mit Dusche. Ich schaue genauer in die Ecken und hinter den Fenstervorhang, um eventuell vorhandene Kameras zu entdecken. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass dieser Staat für 1050 Zimmer Kameras finanziert haben soll. So spannend können die Touristen Berlins doch nicht sein. Ja, mit den Möglichkeiten des neuen Jahrhunderts, da wäre hier sicher alles verkabelt und verwanzt wie in den LIDL -Supermärkten oder bei der Telekom. Die besten Sexszenen dieses Zimmers könnten sich die Verantwortlichen dann als Animationsprogramm mit nach Hause nehmen. Müssten sie aber gar nicht, denn es gäbe ja Pornos in 3D. Ich gebe zu, dass ich meine Gedanken sehr unterhaltsam finde. Allerdings würde ich unter modernen, technischen Bedingungen überhaupt nicht hier rumsitzen. Ich hätte Carsten längst gegoogelt oder bei facebook gefunden. Ich laufe wie ein Tiger zwischen Fenster und Zimmertür auf und ab. Kribbelig. Ungeduldig. Jetzt könnte Jürgen aber langsam erscheinen. Meine Klamotten habe ich aufs Bett geschmissen, allerdings die Jacke noch nicht ausgezogen, und hocke nun mit angezogenen Beinen auf dem Sessel. Eine Stehlampe beleuchtet den Aschenbecher auf dem runden Tisch vor mir. Den gibt es in ein paar Jahren in Hotelzimmern kaum noch. Man wird mich vor mir selber schützen, und mich wird diese umfassende persönliche Einschränkung mehr aufregen als Schlangestehen. Ich blicke wie hypnotisiert zur Tür. Gefühlte zwei Stunden später klopft es. Ich springe auf und öffne. »Endlich!«, jauchze ich dem Pullover-in-die-Hose-Stopfer und Schlipsträger Jürgen entgegen. »Wo warst du so lange?«
    »Na, den Weg hierher muss man erst mal finden. Alter Falter! Die haben hier in der Zone ja ein ausgeklügeltes Fahrstuhlsystem!« Na toll! Jürgen hat alle Aufzüge außer Fahrstuhl Nummer drei ausprobiert und kam immer in der falschen Etage an, bis er an der Rezeption nachfragte.
    »Bist du bekloppt? Jetzt wissen die, wo du hin wolltest.«
    »Jetzt sei mal nicht so aufgeregt. Ich bin doch nicht doof. Ich habe mir die Routen aller vier Fahrstühle erklären lassen!« Jürgen guckt schwer beleidigt durch seine Kompottschalen-Brillengläser, und ich nehme mir vor, freundlicher zu ihm zu sein, immerhin, will er mir ja helfen. Darum lächle ich und lobe ihn, wie Frau einen Mann loben muss, damit er sich gut fühlt.
    »Sehr clever, toll … und wie du gleich am Telefon die richtige Zimmernummer gecheckt hast … das war großartig!«
    Jürgen setzt sich mir gegenüber aufs Bett, beugt sich, die Ellenbogen auf den Knien abstützend, nach vorn und schaut selbstgefällig auf einen Zettel in seiner Hand. »Hier habe ich sie. Die Telefonnummern … und bevor du gleich wieder meckerst: Ja, ich habe sie aufgeschrieben, aber der Spitzel muss erst noch geboren werden, der meine Zettel findet!«
    Es ist nur ein schwacher Impuls, so einer, bei dem mein Körper schon auf Zugreifen gepolt ist, das Gehirn aber noch nichts davon weiß, der Jürgen reagieren und den Zettel in der Faust verschwinden lässt. Dabei lächelt er mich mit einer Mischung aus Flirt und peinlicher Anmache dünnlippig an. Er klopft mit der Zettelfaust aufs Bett. »Komm, setz dich neben mich, und ich erzähl dir alles!« Jürgen weiß, wahrscheinlich ohne jemals etwas von Francis Bacon gehört zu haben, dass Wissen Macht ist. Und ich ahne, dass Nichtwissen bei mir nicht zur Ohnmacht führen könnte, weil meine Hormone auf Jürgen überhaupt nicht reagieren. Seine Hormone allerdings scheinen verrücktzuspielen, bildet er sich doch ein, er könnte mich erpressen. Vielleicht hat die Natur es aber so

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