Herr Möslein ist tot (German Edition)
Klickklick. Nein, ich lass mich von der Eichholz nicht verrückt machen. Mir ist nach der Wende nicht zu Ohren gekommen, dass Heinzi bei der Firma gewesen wäre. Näherliegend erscheint mir Jürgens Dusseligkeit als Ursache für mein Dilemma. Jawohl, der Schuldige ist ausgemacht. Ich sehe ihn klar auf meinem Monitor: Jürgen.
Er muss auf der Suche nach dem Fahrstuhl wie bekloppt durch die Lobby gerannt sein und sich dabei so dämlich angestellt haben, dass der Campingbeutel nicht mal seinen fettigen Kopf benutzen musste, um unser tete à tete zu zerstören. Dornheim, du Flitzpiepe! Wie willst du jemals eine Doktorarbeit schreiben, wenn du bei den einfachsten Ermittlungsaufgaben scheiterst? Ich will keine Sekunde länger in diesem Zimmer bleiben, packe desillusioniert meine Sachen zusammen und greife nach meinen weinroten, flachen Fellstiefeln. Sie sind zwar viel zu eng, dafür aber von der Freundin meiner Mama aus dem Westen. Während ich unter Aufbietung aller Kräfte die Stiefel über meine Füße zu ziehen versuche, fällt mein Blick auf den Fußboden. Neben dem Bett liegt er, der Zettel mit den drei Brigitte-Lummer-Nummern in Westberlin. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Ich vergrabe ihn tief in meiner Jeanshosentasche und verlasse dieses ungastliche Hotel. Weder an der Rezeption beim Auschecken noch auf dem Weg zur Tiefgarage begegne ich dem verbiesterten Ostspitzel, ebenso wenig wie meinem gescheiterten Wessiagenten. Und das ist auch gut so. Gegen zwei Uhr besteige ich meinen Trabi, bei dem ich mir nicht mehr sicher bin, ob der Vorbesitzer eventuell ein Campingbeutel gewesen sein könnte. Ich habe diese, meine erste eigene, natürlich gebrauchte Rennpappe als Angestellte des Maschinenbauhandels zum Zeitwert kaufen dürfen. Dieser Großhandelsbetrieb war verantwortlich für den Weiterverkauf der Dienstwagen öffentlicher Behörden der DDR . »Nein, nein, mein Trabi … du bist nicht vom fettigen Scheitel, das würde ich spüren!«, tätschle ich das Lenkrad, und wir brummen zusammen nach Hause ins realsozialistische Potsdam.
Skandal in Babelsberg
Gleich am Montag nach unseren Auftritten im Hotel starte ich motiviert und siegessicher meine Schwiemu-Telefonzellentour von der Babelsberger Post über Bahnhof Drewitz bis zum Stern und zurück. Alle Zellen sind entweder von Schlangen umzingelt oder die Apparate defekt. Als ich, vor Wut fast platzend, wieder zu Hause ankomme und meinen Trabi auf dem Bürgersteig gegenüber meines Hauses einparke, kommt trotzdem ein Funken Freude darüber auf, dass ich nicht, wie im Nachwende-Potsdam ewig nach einem Parkplatz suchen muss, um dann am nächsten Morgen aufgefordert zu werden, mit einem Ordnungsgeld die leere Stadtkasse aufzufüllen. Ich genieße das unkomplizierte Einparken, das auch Frauen aufgrund der Größe der Parklücke unfallfrei bewerkstelligen können, und stelle meinen Trabi auf dem Bürgersteig gegenüber meines Hauses, mit der Schnauze zur gelben Telefonzelle ab. Pessimistisch wegen der fehlenden Menschenschlange öffne ich die Zellentür und stelle fassungslos fest, dass genau diese Zelle nicht nur leer ist, sondern auch funktioniert. Unglaublich! Ich wühle mehrere Markstücken und den seit gestern sorgsam aufbewahrten Brigitte-Lummer-Zettel aus meiner Hosentasche. Mit cleverer Fragetechnik und schlauer Legende will ich meine zukünftige Schwiegermutter telefonisch enttarnen. Natürlich kannte ich 1989 das Wort »Legendenbildung« noch nicht; so nannten IM s erdachte Geschichten, mit denen sie Menschen konfrontierten, um sie zur Mitarbeit zu zwingen. Was »legendieren« bedeutet, erklärte mir erst viele Jahre später ein Mann, den ich im Internet auf der Suche nach einem Traummann kennenlernte. Er erklärte mir die Definition des Wortes »Legende« nicht nur, sondern ließ mich auch hautnah spüren, wie empfänglich hormongesteuerte und liebeshungrige Frauen für absurdeste Lügengeschichten sind. Hoffentlich, denke ich, als ich die erste Lummer-Nummer wählte, bleibt mir die Begegnung mit solchen Männern in Zukunft erspart. Wenn ich Carsten jetzt finden würde, müsste ich nicht mehr drei lange Jahre meines Lebens vergeuden, die ich mit Anfang vierzig damit verbracht hatte, einen passenden Mann im Internet zu suchen. Ich wähle die erste Nummer, kneife vor Aufregung die Augen fest zusammen und atme tief ein, als sich eine heisere männliche Stimme meldete. »Lummer hier!«
»Hallo. Mein Name ist Meissner und ich rufe im Auftrag des Bürgeramtes an.
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