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Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
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ziemlich alt. Ich schätze ihn auf ungefähr fünfzig. Seine Ernst-Thälmann-Mütze wackelt auf dem fast haarlosen Kopf. Er öffnet den Mund beim Reden so weit, dass ich die Amalgamfüllungen in seinen schiefen Zähnen sehen kann. Ich klopfe zurück. Und mit jedem Schlag gegen die Zelle, schießen Erinnerungsblitze durch meinen Kopf: Meine Schwester Alexandra wird kurz vor dem Mauerfall in den Westen abhauen. In den Oktoberferien. Bumm! Sie wird ihren gesamten Besitz zurücklassen und fast alles verlieren, weil eine »sehr gute Bekannte« alles, was sie in ihrer Wohnung findet, an Wildfremde verkaufen wird. Bumm! Mir wird ganz traurig zumute. Bumm!
    »Jetzt hörn’se doch endlich uff!«
    Klopfer hat die Tür wieder aufgerissen, und mein spontaner Schreckschrei hallt extrem laut in diesem Kabuff. Klopfer zuckt mit dem Oberkörper zurück. »Wat sind Sie denn für ne Flitzpiepe!«, ruft er und schließt zu Tode erschrocken die Tür. »Tati? Was ist denn los bei dir?«
    »Alles gut, Mama. Hier spielt nur ein kleiner Thälmann verrückt!«
    »Tati, pass auf, was du sagst! Ich mache mir übrigens auch wegen dir große Sorgen. Wie kommst du nach der Scheidung von Heinzi zurecht? Schaffst du das allein?«
    »Och, Mama!«, ich fühle mich unbehaglich und wie damals bevormundet. »Sicher fragst du gleich, was die Leute von mir denken könnten … so als alleinstehende Mutter mit Kind!«
    »Natürlich! Was macht das denn für einen Eindruck? Ich traue mich gar nicht, unseren Freunden zu erzählen, dass du geschieden bist!«
    »Und ich traue mich gar nicht zu erzählen, dass es meiner Mutter lieber ist, ich bin unglücklich!« Der unbedacht geäußerte Satz tut mir sofort leid. Ich will Mama nicht kränken, aber verstehen kann ich sie auch nicht.
    »Tati, man konnte doch mit Heinz so gut reden!«
    »Ja, bestimmt. Aber leider immer öfter nur ganz laut«, sage ich versöhnlich. »Mama, du sagst doch selber immer zu mir, dass ich alles schaffen und jedes Problem lösen könne. Und ich habe ein für mich großes Problem gelöst. Und glaub mir, ich schaffe das wirklich. Du wirst irgendwann ganz stolz auf mich sein!«
    »Aber so allein, Tati!«
    »Keine Angst, ich treffe bald den einzig richtigen Mann für mich. Einen, der mich versteht, sich um mich sorgt und sich kümmert.«
    »Bitte sei nicht so optimistisch, Tati, sonst wirst du unglücklich. Ich rechne lieber immer mit dem Schlimmsten, dann werde ich öfter positiv überrascht.« So isse und so bleibt sie auch, denke ich liebevoll und verabschiede mich. »Okay, Mama, ich muss los. Pauli wartet bei Gisi auf mich. Bis bald, ja?« Ich habe kaum aufgelegt, da drängelt Thälmann in die Zelle.

Ich beobachte dich
    Nachdem ich Pauli ins Bett gebracht und mich durch investigative Fragetechnik davon überzeugt habe, dass Heinz heute wirklich zu Hause bleibt, fahre ich wegen der Verabredung mit Jürgen mit meinem eigenen Trabi nach Berlin. Es ist 22 Uhr, als Betty und ich pünktlich über die Tanzfläche der Bar schweben und unsere Körper in erotischer Anmut verbiegen. Wir fassen uns an den Händen und heben gerade das jeweils äußere Bein, um es in den Standspagat zu ziehen, da prostet mir Jürgen Dornheim, auf einem Barhocker lümmelnd, gönnerhaft mit einem Glas Sekt zu. Mein Bein fällt mir vor Schreck aus der Hand, Betty kommt ebenfalls ins Wanken. Ohhhh, wie ich ihn hasse. Wir hatten doch besprochen, dass uns niemand zusammen sehen darf. Dieser Dornheim-Fuzzi mit seinem blöden Schlips, der ihm wahrscheinlich die Blutzufuhr zum Kopf abschnürt, macht mich wahnsinnig. Hoffentlich sieht er meinen bösen Blick und reißt sich jetzt zusammen, damit unsere Informationsübergabeplanung nicht wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt.
    Nach unserem dritten Tanz, einer Betty-Schimpfkanonade zum Thema unprofessionelles Arbeiten, einiger verschwörerischer Blinzelattacken von Ingo und seinem zum Abschied gehauchten »Bis morgen!«, verlasse ich fluchtartig die Künstlergarderobe des Hotels Stadt Berlin und fahre ins Erdgeschoss, um den Schlüssel für mein Zimmer Nummer 223 zu holen. »Sie müssen mit Fahrstuhl Nummer drei fahren, um ihr Zimmer zu erreichen. Alle anderen Aufzüge fahren in höhere Etagen beziehungsweise ausschließlich in die 37. zur Nachtbar«, sagt die Rezeptionistin routiniert. Wenige Minuten später stehe ich im Zimmer 223 in der 22. Etage des Hotels. Berlin, die Hauptstadt der DDR , liegt mir wie ein Lichtermeer zu Füßen. Der Fernsehturm blinzelt freundlich. In

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