Herr Möslein ist tot (German Edition)
positive Wendung zu geben, und erwiderte, innerlich vor Freude tobend: »Am besten gar nichts mehr!« Ilona stutzte, dabei vibrierte ihr kaltgewelltes Haar und verströmte den typischen Dauerwellen-Geruch, der ein bisschen an verfaulte Eier erinnert. Ich setzte nach: »Und am besten nie mehr!«
Der Schwingdeckel des Mülleimers schaukelt nach. Er wirkt so beschwingt und glücklich, wie ich es war, als Ilona gestern beleidigt meine Wohnung verließ. Die bin ich los. Zu dem umstrittenen Freundinnenfoto wird es nicht mehr kommen.
Ich drapiere das klein geschnittene Gemüse auf zwei große, tiefe Teller. Einen für Gisi und einen für mich. Pauli liegt in meinem Bett und darf »Außenseiter Spitzenreiter« gucken, bis sie einschläft, und Heinz, den ich nicht gern beim Essen dabeigehabt hätte, ist glücklicherweise mit seiner Trösteflamme Geli unterwegs. Ich greife nach der gelben Keramikschüssel, die ich von meinen Eltern bekommen habe, und schütte den Joghurt hinein. Dazu träufle ich eine halbe Zitrone, gebe ein wenig Pfeffer, einen Teelöffel Salz und einen Esslöffel Zucker dazu.
Ob der Bruch mit Ilona eventuell andere negative Folgen in der Zukunft nach sich ziehen könnte, ist mir egal. Für mich war er genauso alternativlos wie Entscheidungen der Politiker im vereinigten Deutschland. Ob Eurorettung, Energiewende oder die strikte Einhaltung des Nichtraucherschutzgesetzes, alles ist alternativlos. Politiker wissen, was richtig ist. Die Bürger dürfen zwar nach dem Mauerfall endlich ihre alternativen Vorschläge öffentlich artikulieren, und ich kann zum Beispiel sagen, dass ich die neuen Energiesparlampen für eine depressionsfördernde Energiespar-Beruhigungspille und die Eurorettung für eine Bankenrettungsmaßnahme halte, aber das interessiert die Entscheidungsträger genauso wenig wie Carsten, wenn ich ihn bitte, seine Socken nicht auf dem Fußboden, sondern in der schmutzigen Wäsche abzulegen. Da hamwer den Salat! Er ist fertig. Ich freue mich auf Gisi, stelle eine Stumpenkerze auf den Tisch, dazu die fertigen Salatteller und zwei bulgarische Keramik-Weinbecher.
***
Gisi würde man im neuen Jahrtausend als hyperkinetisch beschreiben. Immer busy, immer auf’m Sprung. ’ 89 ist sie eine zarte und hübsche Frau Mitte zwanzig, mit dunklen, halblangen Haaren und dank zahlreicher Verwandtschaft im anderen Teil Deutschlands von Kopf bis Fuß in Westklamotten gekleidet. Ich weiß schon, bevor Gisi den Mund aufmacht, was sie sagen will: Dass sie noch nie so einen großen Salat gesehen habe, und wie ich denn darauf gekommen sei, ihn mit Weintrauben zu veredeln. Ich war genauso überrascht, als ich bei meinem ersten Restaurantbesuch nach der Wende zu meinem Hauptgang ahnungslos einen Salatteller bestellte, der mir, die ich nur kleine Schälchen mit Gurken-, Tomaten- oder grünem Salat kannte, ob seiner Größe die Sprache verschlug und mir ein Geschmackserlebnis bereitete, wie es die C-Promis nach Verlassen des Dschungelcamps und dem Genuss ihres ersten in wiedergewonnener Freiheit verzehrten Burgers beschreiben.
»Seit wann gibst du dir so viel Mühe bei der Nahrungszubereitung? Und was ist das überhaupt?« Gisi verzieht ihr Gesicht in eine für sie untypisch fassungslose Grimasse, die sich nach dem ersten Gabelhappen in eine entspannte Seligkeit wandelt. Ich freue mich. Eine glückliche und entspannte Gisi ist die beste Voraussetzung, sie behutsam in meinen Plan einzuweihen. Wir essen, lachen und trinken den zuckersüßen Wein. Als ich das benutzte Geschirr in die Spüle gestellt habe und der Rauch unserer Zigaretten im Stumpenkerzenlicht tanzt, traue ich mich, mein Lieblingsthema anzusprechen:
»Gisi, ich habe eine Bitte an dich. Ich bin auf der Suche nach einem Mann!«
»Ach, ja? Hast du nicht erst mal die Nase voll, nach Heinzi?«
»Nein. Ich suche nicht irgendeinen Mann, sondern einen ganz bestimmten. Ich suche nach Carsten Lummer in Westberlin, von dem ich weiß, dass er der Mann meines Lebens sein wird!« Sofort verzieht sich Gisis Gesicht, und ich bereue den letzten Halbsatz. Gisi hasst romantisches Gelaber. Bevor sie auch nur ein missbilligendes Wort äußern kann, fahre ich hektisch fort.
»Ich dachte mir, du könntest deinen Westberliner Cousin bitten herauszubekommen, wo dieser Carsten arbeitet, damit ich ihn bei meinem Gastspiel in wenigen Tagen aufsuchen und kennenlernen kann.«
»Hä? Du kennst ihn nicht einmal und bist dir sicher, er sei der Mann deiner Träume? Wie bist du denn
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