Herr Möslein ist tot (German Edition)
krank!«, plappert mein Kind die Jammerei ihres Vaters nach.
»Komm, wir singen ein Lied für Oma!«, versuche ich Pauli abzulenken.
»Oma so lieb?«
»Genau, das habe ich auch immer für meine Oma gesungen, als ich so klein war wie du!« Pauli liebt Geschichten aus meiner Kindheit genau so sehr wie ich die meiner Mutter. Pauli klatscht in ihre Händchen und singt: »Oma so lieb, Oma, so nett, ach, wenn ich dich, meine Oma nicht hätt!«
Bei unserer Ankunft in der Stadt meiner Kindheit und Jugend, suche ich zuerst einen Parkplatz am Hauptbahnhof, bevor wir zum Huttenplatz fahren, wo meine Eltern kürzlich eine Wohnung in den neu erbauten und sich an der Gera entlang schlängelnden Häusern bezogen haben.
Ich gehe mit Pauli die Bahnhofstraße Richtung Anger. Ungefähr in der Mitte befindet sich linker Hand eine Eisdiele. »Pauli, weißt du was? Wir essen jetzt so ein Eis, wie Mutti fast jede Woche gegessen hat, als sie klein war.« Na ja, klein war ich nicht, sondern eher pubertär, aber das versteht Pauli nicht.
Ich schiebe sie in die düster wirkende Eisdiele und bestelle für jeden einen Obsteisbecher. Carsten hätte sicher den Schwedenbecher mit Vanilleeis, Sahne, Apfelmus und Eierlikör gewählt. Die Kellnerin bringt uns zwei goldene hohe Alubecher gefüllt mit je zwei Kugeln Eis, Sahne und gemischten Früchten, die steinhart sind und weder optisch noch geschmacklich ihre Identität preisgeben, als Pampe vermischt aber total lecker schmecken und alte Zufriedenheitsgefühle bei mir aufkommen lassen.
Pauli ist als erste fertig, blättert in einem BUMM I-Heft und singt. »Kam ein kleiner Teddybär, aus dem Spielzeugland daher … Bummi, Bummi, Bummi, Bummi brumm, brumm, brumm!« Ich beobachte mein Kind und bin plötzlich genauso gerührt wie der Inhalt meines Eisbechers. Diese Situation erscheint mir so nah, als hätte ich sie gerade gestern erlebt. In Wirklichkeit ist es schon über zwanzig Jahre her. Pauli ist jetzt eigentlich so alt wie ich 1989, sie liest internationale Magazine in vier Sprachen und singt ganz andere Lieder. Ich bin immer noch genauso stolz auf sie wie früher. Wie jetzt.
***
»Ach Tati, da seid ihr ja endlich!« Die Stimme meiner Mama hallt durchs Neubautreppenhaus. »Omi, Omi, Omi!«, ruft Pauli und rennt, so schnell die kleinen Beine sie tragen, die Treppen hoch. Mit einem kurzen Blick auf meine Mama, die gerade Pauli knuddelt, wird mir klar, dass sie etwas jünger ist als ich. Wie ulkig ist das denn. Ich umarme meine Mama ganz fest.
»Kommt doch erst mal rein. Ich habe schon gekocht. Schweinelende mit Mischgemüse!« Mama kocht fast immer Schweinelende, auch wenn in einigen Jahren Carsten und ich zu Besuch kommen werden. Wahrscheinlich, weil Schweinlende im Jahr ’ 89 eine Rarität ist.
Als Kind wurde ich immer zum Fleischer geschickt, um das in braunes Papier gewickelte Überraschungspäckchen, das der Metzger ungeniert unter dem Ladentisch hervorholte und dessen Inhalt bis zum Auspacken zu Hause unbekannt war, abzuholen. In dieser Wundertüte war alles drin, was es sonst nicht gab, ob man es brauchte oder nicht. Meistens Schweinelende. Die guten Beziehungen meiner Eltern zum Metzger hatten sich auch diesmal ausgezahlt.
»Ist Papa nicht da?«
»Nein, er musste noch schnell ins Büro.« Mama rollt mit den Augen. »Unser Telefon ist kaputt, das hat er zu Reparaturzwecken auseinandergebaut und will jetzt bei seinem Bürotelefon gucken, wie es aussehen muss, wenn es ganz wäre.«
»Papa ist eben ein technisches Genie!«
»Ja, ist er«, sagt Mama völlig ernst. »Durch seinen ersten Reparaturversuch konnten wir immerhin wieder telefonieren, aber nur nach Westdeutschland und nach Norwegen!«
»Wen wolltet ihr denn dort erreichen?«
»Niemanden. Unerklärlicherweise hat uns das Telefon mit wildfremden Menschen im kapitalistischen Ausland verbunden.« Mama beugt sich nach vorn und flüstert jetzt: »Aber ich hatte Angst, dass wir in Schwierigkeiten kommen könnten, wenn das öfter passiert. Du verstehst schon. Darum muss Papa heute noch mal reparieren!«
Ich kann nicht anders, ich muss lachen. Mein Vater wird heute beide Telefone irreparabel zerstören. Er interessiert sich zwar sehr für alles Technische, hat aber überhaupt keine Geduld, sich mal eine Gebrauchsanweisung konzentriert durchzulesen oder einen Fachmann zu Rate zu ziehen. Das ist in der DDR auch schlecht möglich, aber später wird er es genauso halten und innerhalb kürzester Zeit drei Laptops von seiner Rente
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