Herr Möslein ist tot (German Edition)
–
unabhängig, verdiene mein eigenes Geld, kann für mich allein sorgen. Pauli ist im Kindergarten sehr gut versorgt, und kollektives Kacken wird ihr nichts anhaben können!«
»Tati, sei nicht so ordinär!«
»Entschuldige, Mama, das war eine politische Aussage!«
»Welcher Politiker sagt denn so etwas? Etwa Honecker?«
»Nein, ein Kriminologe aus Hannover. Christian Pfeiffer.«
»Kenne ich gar nicht!« Jetzt habe ich Mama doch verwirrt. Als Lehrerin und interessierte Zeitungsleserin kennt sie eigentlich jeden.
»Ist nicht so schlimm, Mama. Das war von mir auch eher scherzhaft gemeint. Dieser Pfeiffer hat Kindergartenerziehung und Fremdenfeindlichkeit in einen kausalen Zusammenhang gestellt.«
»Woher weißt du das alles? Von Sudelede?« Ich hätte wissen müssen, dass meine Mama mein plötzliches politisches Interesse stark verwundert.
»Ja, ich habe aus Versehen den schwarzen Kanal geguckt«, versuche ich sie zu beruhigen und mich aus der Affäre zu ziehen.
»Na das musst du doch nicht glauben, was da erzählt wird, Tati!«
Mir fällt ein Stein vom Herzen. Sie hat nichts gemerkt. Trotzdem vertiefen sich Mamas Sorgenfalten, wie Wellen bei plötzlich aufkommendem Sturm. Merkt sie, dass mit mir etwas nicht stimmt? Sie ringt nach Worten, bleibt stehen und hält mich fest, um mir direkt in die Augen schauen zu können.
»Was mich schon ganz lange quält, Tati, ähm … ich würde gern wissen: Hast du Heinz wegen eines anderen Mannes verlassen?«
»Wie kommst du denn darauf?«, kontere ich verärgert, weil sie mir mit dieser Frage schon wieder unterstellt, dass ich bei der Trennung von Heinz moralisch verwerflich handelte.
»Na weil du am Telefon etwas von einer großen Liebe gesagt hast!«
»Habe ich?!« Ich bin doch wirklich ein Schaf. Wie komme ich da wieder raus? »Ich meinte doch nur, dass der nächste Mann, den ich kennenlerne, einer fürs ganze Leben sein wird. So wie bei Papa und dir!« Meine Mutter kennt mich zu gut. Sie hört oder sieht oder spürt einfach, dass ich nicht ganz die Wahrheit sage.
»Wer ist es?«, fragt sie streng, und ich gebe auf. Diese Rumeierei strengt mich an. Viel zu gern will ich ihr von Carsten erzählen. »Er heißt Carsten, sieht toll aus, versteht mich, umsorgt mich, kocht sensationell, und ich liebe ihn.« Mama guckt skeptisch zu mir auf. »Wirklich Mama, das ist der erste Mann, mit dem ich alt werden möchte!«
»Was arbeitet er? Was machen seine Eltern? Wie alt ist er?«, stellt Mama genau die Fragen, die ich bald jedes Mal stellen werde, sobald Pauli mir von einem neuen Freund erzählt.
»Er ist Restaurantfachmann, will aber noch studieren«, setze ich schnell nach, weil Mama schon wieder so guckt. »Aber er ist fünf Jahre jünger als ich.« Ich nutze das Aber, weil ich weiß, was Mama antworten wird.
»Tati, ich habe dir doch immer gesagt, Kind, du sollst dir einen Mann suchen, der gleichaltrig oder etwas älter ist, der einen Hochschulabschluss hat und größer ist als du.«
»Na, größer isser. Viel größer. 1,96! Seine Mutter hat ihn allein großgezogen. Und … äh … sie lebt in Westberlin, und ich weiß nicht, was sie arbeitet.« Mamas Blick wirkt furchtbar irritiert.
»Wie? Lebt dein Carsten etwa auch in Westberlin?«, flüstert Mama sehr nachdrücklich und lässt ihren Blick ängstlich über den Benediktsplatz schweifen. Ich folge ihrem Blick. Das Haus an der Ecke zur Futterstraße, in der sich auch der Kaisersaal, also das Optima-Klubhaus, befindet, wo ich oft mit der Tanzgruppe des Optima-Ensembles probte, beherbergt jetzt noch eine Drogerie. Ich muss unwillkürlich grinsen. Hier kaufte mein erster Freund seine ersten Kondome.
»Tati, das ist nicht zum Lachen!«, werden die Erinnerungen an meine erste große Liebe abgewürgt. «Wohnt dieser Carsten nun in Westberlin, oder nicht?«
»Ja, seit ein paar Tagen. Ausreiseantrag«, antworte ich leicht genervt.
»Und da sagst du, ich soll mir keine Sorgen machen? Ich frage mich, ob ich in deinem Alter auch so kurzsichtig war?«, schimpft meine Mutter. »Ich meine, willst du etwa genau wie deine Schwester abhauen? Sollen wir ganz allein hierbleiben?« Mama ist genauso nah am Wasser gebaut wie ich. Oder ich wie sie. Darum muss ich sie sofort beruhigen. Ich nehme sie in den Arm.
»Nein Mama, ich bleibe hier. Ganz sicher. Ich kann doch Pauli nicht allein lassen.«
Das leuchtet ihr ein, und sie pustet erleichtert die Luft aus.
»Weißt du, Mama, du solltest mir vertrauen. Du kannst mir vertrauen.
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