Herr Möslein ist tot (German Edition)
Raum um. »Immerhin ist die Ramona-Bar mit einer schönen Bühne, neuester Technik und verschiedensten Bühnenbildern ausgestattet. Das macht Mut, nicht Tati?!« Ich will mir meinen geplanten Spaß nicht verderben, nicke zustimmend und kaue auf meinem Strohhalm. Die Show beginnt mit den Prager Ballettmädchen, die alle unübersehbar gut ausgebildet sind, tänzerisch eine hohe Qualität und Professionalität an den Tag legen, so dass Betty beim Zuschauen wohlwollend lächelt. Danach betritt eine Stripteasetänzerin die Bühne. »Sehr schön!«, flüstert Betty mir zu. »Ganz ästhetisch! Toll! Sieht fast so aus, als ob wir uns nicht schämen müssen, wenn wir hier anfangen«, Betty schlürft entspannt an ihrem O-Saft und schenkt Chantal ein zustimmendes Lächeln. Ich lehne mich voller Vorfreude zurück. Dann wechselt das Bühnenbild. Eine elektrisch ausgerollte Leinwand entführt uns in die heile Welt der Berge. Zwei als Popeye und Olivia verkleidete Darsteller betreten die Alm. Im Rhythmus volkstümlicher Klänge verschlingt Popeye eine Dose Spinat und zeigt uns seine muskulösen Oberarme. »Mann, der sieht aber gut aus. Trotz des bescheuerten Popeye-Kostüms«, flüstert mir Betty zu. »Der macht jetzt bestimmt eine Handstand-Äquilibristik oder so.«
»So kann man das natürlich auch nennen«, flüstere ich zurück und zeige auf Olivia, die sich plötzlich an seinem kleinen Popeye zu schaffen macht. Meine Hausbuch-verantwortliche Frau Eichholz würde jetzt wahrscheinlich mit ihrem Krückstock auf Popeyes nackten Hintern schlagen und rufen: »Schluss mit der Bumserei! Besuch muss ins Hausbuch eingetragen werden!« Betty dagegen putzt wieder hektisch ihre Brille, und ich frohlocke. Beim ersten Mal klappte mir der Unterkiefer runter, jetzt muss ich laut loslachen.
»Um Gottes willen, hier kann man doch nicht auftreten. Wir kämen in Verruf!«, flüstert Betty fassungslos zu Chantal und stupst mich in die Seite. »Hör auf zu lachen. Das ist nicht lustig!« Unseren beiden Hauptdarstellern scheint ihr Ruf allerdings völlig wurscht. Sie kommen uns von der Bühne mit heruntergelassenen, knöchelumspielenden und gehbehindernden Hosen entgegen. Popeye schleudert seine Partnerin direkt auf unseren Nebentisch und besorgt es ihr heftig. Während ich mich bei Bettys Anblick am O-Saft verschlucke, dreht sich der von Popeye missbrauchte Bartisch, dank neuester Technik, um seine eigene Achse in Richtung Kronleuchter. Noch bevor der Tisch und die lebenden Comicfiguren ihren Höhepunkt erreichen, greifen Betty und ich synchron zu unseren Handtaschen, stellen sie mit Nachdruck auf unseren Schoß, stehen gleichzeitig auf, rufen ein gouvernantengleiches: So!, stehen synchron auf und marschieren im Rhythmus der Musik zum Ausgang der Ramona-Bar. Betty stolpert in ihrer Empörung fast über den im Vorraum, durch sein Gipsbein an den Stuhl gefesselten Herrn Möslein, der die Situation sofort erfasst und uns weinerlich erklärt: »Liebe Coras, bitte, bleiben Sie doch. Ich muss meinen Gästen einfach alles bieten, um hier überleben zu können.«
»Lieber Herr Möslein!« Betty ist so ärgerlich, dass sie ihre Managerhaltung einnimmt. «Wir sind gut ausgebildete Künstlerinnen aus der DDR , und so eine Show schadet unserem Ruf. Da ist uns auch das Westgeld egal.«
»Bitte, wir sind hier zwar auf der Reeperbahn, aber ich habe trotzdem ausschließlich professionelle Künstler engagiert und …« Herr Möslein ringt nach Erklärungen.
»Und …«, setzt Betty fort. »diese Künstler sind trotzdem aus der falschen Branche. Tschüss, Herr Möslein.« Meine aufgebrachte Kollegin zieht mich an meiner Handtasche Richtung Ausgang. Der Henkel dehnt sich bedrohlich, denn ich bleibe stehen und habe plötzlich keine Lust mehr, mich an Bettys Aufregung zu ergötzen. Meine Stimmung schlägt um. Ich schaue wehmütig auf den verzweifelten Barbesitzer.
»Bitte, bitte überlegen Sie es sich noch einmal. Geben Sie mir eine Chance!«, jammert er. Herr Möslein ist wirklich untröstlich. Ich aber auch. Während Betty mit meiner Tasche schnurstracks auf die Straße eilt, gebe ich ihm die Hand und schaue freundlich in seine Augen. »Lieber Herr Möslein. Passen Sie auf sich auf. Ich wünsche Ihnen von Herzen alles Gute für Ihr weiteres Leben. Ganz viel Glück, Erfolg und gute Besserung!« Der verzweifelte Herr Möslein ist so irritiert von meinen eindringlich gesprochenen Worten, dass er gar nichts mehr sagt. Er blickt mich mit aufgerissenen Augen und
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