Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Möslein ist tot (German Edition)

Herr Möslein ist tot (German Edition)

Titel: Herr Möslein ist tot (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tatjana Meissner
Vom Netzwerk:
du weißt, brauchen Mama und ich kein neues Auto, zumal Mamas Anmeldung auch bald abläuft. Wenn du willst, kannst du das neue Auto haben. Kuss Papa«. Auf dem zweiten, sehr amtlich wirkenden Briefbogen stehen alle Eckdaten des Trabis, der Termin der Abholung und ein Preis von knapp 13 000 Mark.
    »Das ist die Anmeldung meines Vaters, die er mir vermacht hat. Und deswegen bist du so lange wach geblieben? Um dich mit mir zu freuen?«, frage ich misstrauisch.
    »Jajajajaaa. Selveständlich. Prost, aufs neue Auto!« Heinz schüttet sich den Blauen Würger aufs Hemd statt in den Mund, guckt verdutzt und schenkt sich nach. Ich dagegen befürchte einmal mehr, dass er mir mit seinem Kontrollwahn meine Zukunftspläne durchkreuzen könnte. Wenn er jetzt schon meine Briefe öffnet, wird er demnächst hinterrücks meine Freunde ausfragen. Ich beuge mich, auf meine Unterarme gestützt, weit nach vorn. Genervt sage ich, jede einzelne Silbe betonend: »Heinzi, was willst du von mir?« Obwohl ich diese Frage so schreie, als erwischte ich meine Katze dabei, auf den Teppich zu pullern, lehnt Heinzi sich zurück und blinzelt mich an, als ob er kein Wässerchen trüben könnte. Erst als ich zur Einleitung der nächsten Schimpftirade tief einatme, nuschelt Heinzi devot: »Isch dachte … äh … soll ich Pauli und das neue Auto von deinen Eltern abholn?« Plötzlich klärt mein alarmiertes Großhirn mit Lichtgeschwindigkeit das Heinzproblem. Mir wird schlagartig klar, dass weder seine übergroße Liebe zu mir noch irgendwelche Spitzeltätigkeiten die Erklärung für Heinzis Anhänglichkeit sind, sondern einzig und allein die Gier nach einem neuen fahrbaren Untersatz. Diese Erkenntnis beglückt mich wegen der spontan von mir abfallenden Angst vor innerfamiliärer Spionage. Ich lehne mich entspannt zurück und frage mich erstaunt, warum ich gegenüber Heinzi so misstrauisch war. Viel misstrauischer als früher. Bestimmt wegen meines Unterbewusstseins. Im Unterbewusstsein werden, geschützt vor rationalem Zugriff, Dinge gespeichert, die man erlebt, erfahren oder einfach nur häufig gehört und gelesen hat. Diese Informationen mischen sich unkontrolliert ins Leben ein. Ich habe in den letzten zwanzig Jahren einfach zu oft gehört, dass jeder Zweite in der DDR IM war. Uahhhh. Trotzdem ist Heinzis Verhalten enttäuschend. Wegen der männlichen Schlichtheit, die sich dahinter verbirgt.
    Mich befällt ein aus freudiger Erregung resultierendes Schwindelgefühl, als in meinem müden Kopf ein genialer Korruptionsplan Gestalt annimmt. Ich konnte in meinem ersten Leben Papas Autoanmeldung aus Zeitnot nicht sofort einlösen. Nach dem Mauerfall habe ich sie, in Anbetracht der unbegrenzten Automöglichkeiten, natürlich verfallen lassen. Jetzt aber bekommt sie eine Aufgabe. Ich schenke mir einen Schnaps ein, stoße mit Heinz an und eröffne meinem verblüfften Ex: »Gut Heinzi, ich schenke dir die Autoanmeldung, wenn du mir versprichst, dass du dir so schnell wir möglich eine neue Wohnung suchst.«
    Heinzi verschluckt sich am Blauen Würger. Er hustet. Ich klopfe ihm auf den Rücken. Bei jedem Schlag schwankt er wie eine Trauerweide im Wind. »Ähe, ähe, ähe… das würdest du für mich machen?« Heinz ist komplett fassungslos. Eine Autoanmeldung ist zu DDR -Zeiten genauso wertvoll wie das Auto selbst. Sie zu verschenken ist darum so selten wie eine DDR -Gaststätte ohne »Sie werden platziert«-Schild. Ein alter Witz behauptet sogar, dass es in der DDR keine Terroristen gab, weil man 15 Jahre auf ein Fluchtauto warten musste.
    Ich halte Heinzi die Anmeldung großzügig entgegen, wohl wissend, dass sie innerhalb kurzer Zeit genauso an Wert verlieren wird wie meine in den letzten Monaten vom Tänzerhonorar erworbene Nadelfilz-Auslegware, der Colormat-Farbfernseher, die RFT -Anlage oder die T-Aktie im Jahr 2000.
    Heinz greift zaghaft nach dem Objekt seiner Begierde. In meinem Inneren summen wildgewordene Insekten vor diebischer Freude, während meine moralische Mama-Instanz vor meinem inneren Auge über meine Boshaftigkeit enttäuscht den Kopf schüttelt. Da sagt Heinzi: »Ich hab ja schon ne Dreiraumwohnung. Umme Ecke. Von Geli. Si’s bei KWV !« Ich bin verblüfft. Da hat mich Heinzi in meinem ersten Leben wirklich nur deswegen bis Ende Januar 1990 mit seiner Anwesenheit belästigt, weil er mein Auto haben wollte! Aber das ist die alte Geschichte. Die neue geht anders. Dafür habe ich soeben gesorgt.
    ***
    Der 28. Oktober 1989 wird als der wärmste

Weitere Kostenlose Bücher