Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
hervorragender Flügel, klar und brillant, doch der erste hatte es ihm mit seinem weichen, erregend weiblichen Klang noch mehr angetan.
»Es tut mir leid, mein Herr, aber diese hochwertigen Instrumente sind ausschließlich unseren Kunden vorbehalten.«
»Grüß Gott, Herr Liebermann!«, tönte ein affektiertes Weiberorgan vom Eingang her, klang in Wolfgang fort und zauberte ein schalkhaftes Grinsen in sein Gesicht.
»Mein Herr«, zischte J. Liebermann jun. mit gedämpfter Stimme, »ich muss Sie bitten …«
Wolfgang erhob sich und verließ, mit den kleinen Verbeugungen eines Kammerdieners, rückwärts den Steinway. Er verneigte sich wiederum, als er die pelzbesetzte Kundin passierte, und ließ sich mit einem wohligen Gurrenan dem ersten Flügel nieder. Schrille Weiberstimmen waren doch immer für musikalische Einfälle gut! Und schon war er mittendrin in einem überschäumenden Capriccio, spielte ihre gegen die Stimme des Liebermann und setzte also einen grollenden Basso dazu. Er hatte gerade seine wunderbar witzige Idee kühn von cis minor nach As springen lassen, als unruhige Stimmen zu ihm durchdrangen.
»… ist kein Übungssaal für mittellose Pianisten! Morgen hab ich drei von der Sorte hier und kann ständig stimmen lassen.«
»Von der Sorte findest du keinen Zweiten. Er stört doch niemanden, im Gegenteil, mich freut er.«
»Dann lade ihn zu dir nach Hause ein, Typen wie der haben hier nichts zu suchen.« Mit energischem Schritt eilte J. Liebermann jun. aus dem Laden und warf im Vorübergehen einen bitterbösen Blick in Richtung des Flügels. Verwundert sah Wolfgang ihm nach.
Jemand schnaufte leise an seiner Seite. »Er meint es nicht so, der Einzige, der ihn wirklich stört, bin ich.« Ein Herr, der sich auf einen Gehstock stütze, trat lächelnd auf Wolfgang zu und reichte ihm die Hand. »Liebermann. Senior. Bitte lassen Sie sich nicht stören.«
War es der Stock oder seine Haut, die aussah wie gutes, lange getragenes Leder – irgendetwas an Liebermann erinnerte Wolfgang an eine längst entschwundene Cordialität, an eine Sonata, wann hatte er sie komponiert? Er schickte Liebermann ein Lächeln und versank variierend in das Thema jenes Andante.
»Bravo«, sagte der Alte leise, aber kraftvoll, als Wolfgang geendet hatte. »Phantastisch. Ich liebe Mozart ebenso.«
»So haben Sie es erkannt?« Wolfgang war, als habe jemand ein Feuer neben ihm entzündet.
»Gewiss.« Liebermann umrundete bedächtig den Flügel, ließ die freie Hand dabei auf dem Instrument entlanggleiten.»Tut ihm gut, wenn er mal ordentlich benutzt wird. Worauf spielen Sie zur Zeit?«
»Oh, Fensterbänke, Tischkanten, was sich gerade anbietet.«
Der Alte schmunzelte nur für einen Moment, dann verharrte sein Blick auf Wolfgang. »Im Ernst? Soll das heißen, Sie haben kein eigenes Instrument?«
Wolfgang verneinte wortlos.
»Dann leben Sie nicht von der Musik? Das sollte mich wundern.«
»Oh, gewiss, ich lebe von nichts anderem, sie ist gleichsam das Blut in meinen Adern!« Wolfgang ließ die Hände auf die Tasten sinken und intonierte einen Herzschlag in C-Dur. »Meinen Bauch indes füllt sie derzeit nur mäßig …« Er rückte nach f minor, stand schließlich auf, verbeugte sich. »Wolfgang Mustermann, Compositeur.«
Liebermann gab ein Brummen von sich. »Com-po-si teur . Aha.« Er nahm auf einem Klavierhocker Platz und streckte ein Bein von sich. »Spielen Sie noch ein wenig für mich, Herr Mustermann, spielen Sie weiter Mozart, etwas Schöneres gibt es nicht.« Bald darauf erhob er sich wieder – es war zu sehen, wie schwer er sich dabei tat – und verschwand hinter einer Tür. Und obwohl er eine ganze Weile fortblieb, spürte Wolfgang, dass er ganz bei ihm war, wusste, dass er ihm mit ungeteilter Aufmerksamkeit folgte und es ihm nicht entging, wenn Wolfgang in amüsierten Kadenzen von den jahrhundertealten Notationen abwich.
»Das ist im Moment leider alles, was ich für Sie tun kann.« Liebermann war zurückgekehrt und reichte Wolfgang ein Papier; es war fester als das, was er nun allenthalben bekam und auch nicht gar so weiß. Zwei Namen mit jeweils einer langen Zahl dahinter waren vermerkt. »Da könnten Sie Stunden geben. Berufen Sie sich auf mich.«
Wolfgang befeuchtete einen Finger und wischte über die blaue Schrift. Tatsächlich, das war feine, ordentlicheTinte. Dankbar lächelte er, verbeugte sich artig und schob die Karte zu den Gummibären in seine Hosentasche.
***
»Nachschub!« Jost warf die
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