Herr Mozart wacht auf: Roman (German Edition)
war verschwunden, etwas Kostbares, und Wolfgangs Hals wurde eng. Er wagte nicht zu fragen.
»Wolltest du was Bestimmtes?«
Dich, dachte er. Sein Atem geizte. »Nun, gewiss … so magst du dich jenes Sackls entsinnen, das ich dereinst für Enno hierhergebracht? Ich … ähm, habe etwas darinnen vergessen …«
»Noten?« Ihr Grinsen hing schief.
»Nein, etwas anderes. Ist es noch da?«
Sie wandte sich um, ließ ihn stehen, kehrte kurz darauf mit einem Schlüssel zurück und hieß ihn, ihr das Stiegenhaus hinabzufolgen.
Der Keller roch nach staubigen Kisten und verschrumpelten Äpfeln, eine einsame Glühbirne kämpfte schwankend gegen die Dunkelheit. Anju öffnete einen Lattenverschlag, griff, ohne zu suchen, hinter ein Regal und reichte ihm die Tüte. Seine Beklemmung war stärker als seine Erleichterung. Er kniete nieder, tastete in dem vollgestopften Sack, zog an weichem Stoff, bis der Inhalt herausquoll. Im blauen Hosensäckel fühlte er das kleine Kärtchen. Er atmete tief durch, ließ es unbemerkt in seine Jackentasche gleiten und stopfte alles andere in die Tüte zurück.
»Ich danke dir«, sagte er leise und hielt sich an der Klinke der Haustüre fest.
»Wofür?«
Er reichte ihr die CD. »Ich habe dir auch eine Musique mitgebracht, eine wunderbare, sie steht dir recht zu Gesicht und soll dich statt meiner erfreuen, wo ich es wohl nicht imstande bin.« Er spürte, wie etwas in ihm zerrte und zog, wusste, dass er gehen musste, und wollte doch nichts lieber als sie berühren, ein einziges Mal noch. »Auch ich will sie dereinst hören und deiner gedenken. Und … vielleicht denkst du gelegentlich auf mich als einen wahren Freund, der dir gewogen bleibt, alle Täge. Adieu.« Er wandte sich zum Gehen.
»Wolfgang.« Ihr Mund bebte. »Vielleicht … Ich meine, es ist so schade, dass wir sie nicht zusammen hören können.« Sie senkte ihre Stimme. »Aber, ich hab ja nicht gewusst, dass …«
Unendlich langsam hob sich seine rechte Hand; ganz ohne sein Zutun, sanft, kaum merklich legte er seine Fingerspitzen an ihre Wange, spürte ihre Wärme, nur für einen Moment. »Was?«
Sie zögerte, ihr Brustkorb hob und senkte sich deutlich. »Ich habe euch gesehen, gestern Abend, deine Freundin und dich …«
»Meine
Freundin
?« Noch immer war er sich nicht restlos sicher, hatte Piotr nie zu fragen gewagt, ahnte jedoch, dass der Sinn jenes Wortes demjenigen für Mätresse gleichkam, wenngleich es nichts Anrüchiges mehr zu haben schien. »Wer mag die Dame wohl sein? Nun, wenn sie hübsch war und artig, so willst du sie mir gewiss einmal vorstellen, damit auch ich bald meine rechte Freude an ihr haben darf?«
»Die Große, mit dem kurzen Rock, im
Blue Notes
gestern, das ist nicht deine …«
»Oh, gewiss, die Köchin, ja! Das ist meine liebste Freundin, meine Theresel, meine Allerbeste. Sie kocht mir stets die feinsten Knödelchen und bekümmert sich auf dasSorglichste um mich, auf dass ich nicht mager werde wie eine Krähe. Wenn ich also darob sie hab abgebusselt, geschah’s aus der Freundschaft und für mein Auskommen, so ich dich gewiss versichern kann. Das darf dir keinen Verdruss machen, wo doch, so will ich in Zukunft gern von allen Thereseln dieser Welt lassen und Hungers sterben.«
Ihr leises Lachen klang befreit, sie sah ihn an mit ihren Vogelaugen, und er vergaß, was er weiters hatte sagen wollen, griff ihre Schultern, beugte sich näher zu ihr, ängstlich, noch näher, mit klopfendem Herzen, nur Stille um ihn. So sanft er es vermochte, legte er seine Lippen auf ihre, schloss die Augen, spürte, wie sie ihn wiederküsste. Seine Seele tanzte. Ihre Lippen öffneten sich, zaghaft erst, dann inniger. Er spürte ihre Hand im Nacken, einen Griff, der ihn alles vergessen ließ. Mit einem leisen Stöhnen zog er sie an sich, fuhr ihren Rücken hinab, zum untersten Ende der Taille, bebte und wich zurück, um sie nicht zu erschrecken. Doch sie griff seine Hand, nahm ihn mit sich zur Treppe, und schweigend stiegen sie miteinander nach oben.
Regen rauschte in Böen gegen das Fenster, intonierte seit Stunden das Flackern der Kerzen, die sie auf einem Teller festgewachst hatten. Es hatte zu dämmern begonnen, und Wolfgang zeichnete mit den Fingerspitzen die Schatten auf Anjus Rücken nach, betrachtete ihr zartes Vogelgesicht, das weich im Schein der Wachslichter lag. Alles verwob sich. Das Prasseln, das Licht, die winzigen, nur fühlbaren Härchen, die ihr Rückgrat säumten, alles klang in ihm wieder, eine
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