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Herr Palomar

Herr Palomar

Titel: Herr Palomar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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gleichfalls Kugelform annimmt, während sie in der bestehenden Kugel wächst. Doch offenbar reicht ihr Zusammenhalt nur bis zu einer bestimmten Grenze, denn schon sieht Herr Palomar ein Zerfasern der Form an den Rändern, ja echte Risse, die aufrechen und die Kugel zerplatzen lassen. Er hat sie noch kaum recht wahrgenommen, da ist die Figur schon wieder zerfallen.
     Die Beobachtungen über die Vögel folgen und multiplizieren einander so schnell, daß Herr Palomar, um sie im Kopf zu ordnen, das Bedürfnis verspürt, mit seinen Freunden darüber zu sprechen. Auch seine Freunde haben etwas dazu zu sagen, denn allen ist es schon einmal untergekommen, sich für das Phänomen zu interessieren, oder ihr Interesse hat sich geregt, nachdem er mit ihnen darüber gesprochen hat. Es ist ein unerschöpfliches Thema, und wenn einer der Freunde glaubt, etwas Neues gesehen zu haben oder einen früheren Eindruck revidieren zu müssen, fühlt er sich verpflichtet, sofort mit den anderen zu telefonieren. So läuft ein ständiger Fluß von Nachrichten hin und her durch das Telefonnetz, während der Himmel von Vogelschwärmen durchpflügt wird.
     »Hast du gesehen, wie sie es immer schaffen, einander auszuweichen, auch wenn sie in dichten Haufen fliegen, auch wenn ihre Flugbahnen sich überschneiden? Man möchte fast meinen, sie hätten Radar.«
     »Das stimmt nicht, ich habe schon schlimm zugerichtete Vögel auf dem Straßenpflaster gefunden, sterbende oder tote: die Opfer der Flugzusammenstöße, die unvermeidlich sind, wenn die Dichte zu groß wird.«
     »Ich weiß jetzt, warum sie abends immer so lange noch über diesem Teil der Stadt fliegen. Sie sind wie Flugzeuge, die über dem Flugplatz kreisen, bis sie Landeerlaubnis kriegen. Darum sehen wir sie immer so lange herumfliegen: Sie warten, bis sie an der Reihe sind, sich auf die Bäume zu setzen, wo sie die Nacht verbringen.«
     »Ich hab gesehen, wie sie's machen, wenn sie auf die Bäume runtergehen. Sie kreisen erst lange am Himmel in Spiralen, und dann plötzlich, einer nach dem anderen, gehen sie im Sturzflug runter, jeder genau auf den Baum, den er sich ausgesucht hat, um erst im allerletzten Moment scharf abzubremsen und sich auf den Ast zu setzen.«
     »Nein, Verstopfungen des Luftverkehrs können nicht das Problem sein. Jeder Vogel hat seinen bestimmten Baum, seinen bestimmten Ast und seinen Platz auf dem Ast. Er erkennt ihn von oben und stürzt sich drauf.«
     »Haben sie so scharfe Augen?«
     »Hmm.«
     Es sind nie lange Telefonate, auch weil Herr Palomar rasch wieder auf die Terrasse will, als fürchte er, etwas Entscheidendes zu verpassen.
     Jetzt sieht es so aus, als hielten die Vögel nur den Teil des Himmels besetzt, den noch die Strahlen der untergehenden Sonne erreichen. Doch wenn man genauer hinsieht, erkennt man, daß ihr Zusammen-  und Auseinanderströmen sich wie ein langes, im Zickzack wedelndes Band abwickelt. In den Kurven des Bandes erscheint der Schwarm dichter, fast wie ein Bienenschwarm, und auf den langen geraden Strecken ist er nur eine lockere Folge von flatternden Punkten.
     Bis der letzte Schein am Himmel verlischt, steigt aus den Straßenschluchten ein Meer von Dunkelheit auf, um den Archipel von Ziegeln und Kuppeln und Dachterrassen und Glockentürmen und Attiken und Altanen zu überschwemmen. Und das schwarze Geschwirr der himmlischen Invasoren stürzt hernieder, bis es verschmilzt mit dem schweren Flug der blöden kackenden städtischen Tauben.
     

Herr Palomar beim Einkaufen
Anderthalb Kilo Gänseschmalz
    Das Gänseschmalz zeigt sich in feinen Gläsern, die jeweils, wie ein handgeschriebenes Etikett besagt, »zwei Gliedmaßen einer Mastgans (ein Bein, einen Flügel), Gänseschmalz, Salz und Pfeffer, 1500 Gramm Nettogewicht« enthalten. Im dichten und weichen Schimmern, das die Gläser erfüllt, dämpf sich das Kreischen der Welt: Ein brauner Schatten steigt auf und läßt wie im Dunst der Erinnerung die getrennten Glieder der Gans durchscheinen, ertrunken im eigenen Fett.
     Herr Palomar steht Schlange in einer Pariser Charcuterie. Es sind Festtage, aber hier ist das Gedränge der Kunden auch in minder kanonischen Zeiten normal, denn es ist einer der guten Feinkostläden der Metropole, der wie durch ein Wunder überlebt hat – in einem Viertel, in dem die alten Läden nach und nach durch die Verflachung des Massenkonsums, die hohen Mieten, die niedrigen Einkommen der Verbraucher und nun auch die Krise verdrängt und durch anonyme

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