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Herr Palomar

Herr Palomar

Titel: Herr Palomar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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Supermärkte ersetzt worden sind.
     Während er in der Schlange wartet, betrachtet Herr Palomar sinnend die Schmalzgläser. In seinen Erinnerungen sucht er nach einem Ort für das Cassoulet, ein Schweinegeschmortes mit weißen Bohnen, für welches das Gänseschmalz unentbehrlich ist, doch weder die Gaumenerinnerung noch das Kulturgedächtnis helfen ihm weiter. Dennoch fühlt er sich von dem Namen, dem Bild und der Vorstellung angezogen, sie wecken in ihm eine plötzliche Phantasterei nicht so sehr der Freßlust als der Erotik: Aus einem Berg von Gänseschmalz erhebt sich eine Frauengestalt, bestreicht sich die rosa Haut mit schimmerndem Fett, und schon sieht er sich ihr entgegeneilen, mitten durch jene dichten Massen hindurch, und sie umarmen und mit ihr versinken.
     Er verscheucht den unziemlichen Gedanken und blickt zur Decke hinauf, an der Salamiwürste als Weihnachtsgirlanden hängen wie Früchte an den Zweigen der Schlaraffenlandbäume. Ringsum auf den Marmorgesimsen triumphiert der Überfuß in den von Kunst und Kultur entwickelten Formen. In den Scheiben der Wildpasteten gerinnen die Läufe und Flüge der Heide, sublimiert zu einem Gobelin von Geschmäckern. Die Fasanensülzen reihen sich in zylinderförmigen Gläsern, graurosa und zur Beglaubigung ihrer Herkunft mit zwei Vogelklauen gekrönt, die aus einem heraldischen Wappen oder aus einem Renaissancemöbel ragen.
     Durch die Gelatinehüllen schimmern die großen Schönheitsflecken der schwarzen Trüffel, aneinandergereiht wie Knöpfe auf dem Gewand eines Pierrot oder wie Noten in einer Partitur, um die rosigbunten Beete der Pâtés de foie gras zu sprenkeln, die Terrines, die Galantinen, die Preßköpfe, die fächerförmig ausgebreiteten Lachsscheiben und die trophäenartig garnierten Artischockenböden. Das Leitmotiv der Trüffelscheiben vereint die Vielfältigkeit der Substanzen, wie das Schwarz von Abendanzügen die Buntheit auf einem Maskenball, und kontrasigniert die festliche Kleidung der Speisen.
     Grau und trübe und mürrisch sind demgegenüber die Leute, die sich vor den Tresen drängen, sortiert von weiß gekleideten, mehr oder minder betagten Verkäuferinnen, die mit barscher Effizienz operieren. Die Pracht der majonnaiseglänzenden Lachstartinen verschwindet wie aufgeschluckt in den dunklen Taschen der Kunden. Alle wissen hier offenbar sehr genau, was sie wollen, jeder zeigt geradewegs auf das Gewünschte mit einer Bestimmtheit, die keine Schwankungen kennt, und im Nu werden Berge von zarten Pasteten, weißen Crèmes und Cervelatwürsten abgetragen.
     Herr Palomar sucht in den Blicken der Kunden nach einem Abglanz der Faszination dieser Schätze, doch ihre Mienen und Gesten sind nur gehetzt und flüchtig, jeder kümmert sich nur um sich selbst, nervös und einzig auf das bedacht, was er hat und was er noch haben will. Keiner erscheint ihm würdig der pantagruelischen Pracht, die sich da ausbreitet in den Vitrinen und auf den Tresen. Eine freudlose Gier treibt diese Leute – und doch besteht eine tiefe urwüchsige Verbindung zwischen ihnen und diesen Speisen, die ihnen wesensgleich sind, Fleisch von ihrem Fleische.
     Er wird sich bewußt, daß er eine Regung verspürt, die der Eifersucht ziemlich nahekommt: Er wünscht sich, diese Enten-  und Hasenpasteten in ihren Schalen würden bezeugen, daß sie ihn den anderen vorziehen, daß sie in ihm den einzigen Käufer erkennen, der ihre Gaben verdient – Gaben, die uns Natur und Kultur durch Jahrtausende überliefert haben und die nicht in profane Hände fallen dürfen! Der heilige Eifer, von dem er sich plötzlich durchdrungen fühlt – ist er nicht ein Zeichen, daß er allein der Erwählte ist, Herr Palomar, der Begnadete, der einzige, der den Schwall dieser aus dem Füllhorn der Welt überquellenden Güter verdient?
     Er blickt sich um und erwartet, ein Orchester von Düften und Geschmäckern vibrieren zu hören. Nein, nichts vibriert. All diese Leckerbissen wecken in ihm nur ungefähre und vage Erinnerungen, seine Phantasie assoziiert die Genüsse nicht instinktiv mit den Bildern und Namen. Er fragt sich, ob seine Naschlust nicht vor allem geistiger, ästhetischer und symbolischer Art ist. Könnte es sein, daß die Galantinen, so sehr er sie mag, vielleicht ihn nicht mögen? Vielleicht spüren sie, daß sein Blick jedes Lebensmittel in ein Dokument der Kulturgeschichte verwandelt, in einen Museumsgegenstand?
     Herr Palomar wünscht sich jetzt, daß die Schlange schneller voranginge. Er

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