Herr Palomar
Individuum auf das Erlöschen der Gattung, wie spät auch immer dieses erfolgen mag.
Herr Palomar denkt schon, während er seinen eigenen Tod bedenkt, an den Tod der letzten überlebenden Exemplare der Spezies Mensch oder ihrer Nachkommen oder Erben: Auf der zerstörten und verwüsteten Erde landen die Kundschafter eines anderen Planeten, entziffern die Spuren in den Hieroglyphen der Pyramiden und in den Lochstreifen der Elektronenrechner; das Gedächtnis der menschlichen Gattung ersteht von neuem aus seiner Asche und verbreitet sich durch die bewohnten Gebiete des Universums. Und von Aufschub zu Aufschub gelangt man schließlich zu jenem Moment, da es Zeit ist, sich aufzulösen und zu erlöschen an einem leeren Himmel, wenn auch die letzte materielle Gedächtnisstütze, die letzte Erinnerung an das Leben zergangen sein wird in einer lodernden Glut, oder erstarrt mit kristallisierten Atomen im Eis einer reglosen Ordnung.
Wenn die Zeit ein Ende hat – denkt Herr Palomar –, kann man sie auch Moment für Moment beschreiben, und jeder Moment zieht sich, während man ihn beschreibt, derart in die Länge, daß man sein Ende nicht mehr sieht. – Er beschließt, von nun an jeden Moment seines Lebens genau zu beschreiben und, solange er sie nicht alle beschrieben hat, nicht mehr zu denken, er wäre tot. Im selben Augenblick ist es soweit, daß er stirbt.
Die Lawine von simultanen Ereignissen, die wir »das Universum« nennen, läßt jene Glücklichen ungeschoren, die noch durch die feinsten Ritzen zwischen der Unzahl von Kombinationen durchzuschlüpfen verstehen und dabei die Bahnen der mörderischen Meteoriten meiden, um nur die wohltuenden Strahlungen aufzufangen. Wer dem Universum wohlgesonnen ist, dem ist auch das Universum wohlgesonnen. Könnte ich doch – seufzt Herr Palomar – ebenso sein.
Er beschließt zu probieren, es jenen Glücklichen nachzutun.
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