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Herr Palomar

Herr Palomar

Titel: Herr Palomar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Italo Calvino
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scheint er nicht wahrzunehmen. Kann er sie mit den längsgeschlitzten Pupillen seiner seitlich vorspringenden Augen nicht sehen? Oder hat er Gründe zur Wahl und Ablehnung, die wir nicht kennen? Läßt er sein Handeln womöglich vom Zufall bestimmen oder von Launen?
     Die Segmentierung durch Ringe an Beinen und Schwanz, die Sprenkelung mit winzigen Schuppenplättchen an Kopf und Bauch geben ihm das Aussehen eines mechanischen Apparates, einer hochkomplexen und bis ins kleinste Detail durchdachten Maschine, so daß sich die Frage aufdrängt, ob eine solche Perfektion nicht vergeudet ist angesichts der begrenzten Operationen, die ihr Träger vollführt. Oder ist vielleicht dies sein Geheimnis: daß der Gecko, befriedigt über das bloße Sein, das Tun auf ein Minimum reduziert? Ist dies seine Lehre, also das Gegenteil der Moral, die sich Herr Palomar in der Jugend hatte zu eigen machen wollen: immer bemüht sein, etwas zu tun, was ein bißchen die eigenen Kräfte übersteigt?
     Da, jetzt gelangt ein verirrter Nachtfalter in seine Reichweite. Läßt er ihn weiterflattern? Nein, er schnappt sich auch diese Beute. Die Zunge verwandelt sich in ein Schmetterlingsnetz und holt sich das Opfer ins Maul. Paßt es in voller Größe hinein? Spuckt er es wieder aus? Platzt er? Nein, der Falter steckt in der Kehle: zuckend, zusammengepreßt, aber noch erkennbar er selbst, noch unberührt vom Angriff zermalmender Zähne. Jetzt gleitet er durch den engen Schlund, wird zu einer Schattengestalt, die ihre langsame qualvolle Reise eine geblähte Speiseröhre hinunter beginnt.
     Der Gecko, aus seiner Reglosigkeit erwacht, schluckt heftig, zieht konvulsivisch die Kehle zusammen, wankt und zittert auf Beinen und Schwanz, windet den einer harten Prüfung unterzogenen Leib. Hat er genug für heute? Macht er sich nun davon? War dies der Gipfel allen Verlangens, das er zu befriedigen suchte? War es die Prüfung an den Grenzen des Möglichen, die er bestehen wollte? Nein, er bleibt sitzen. Vielleicht ist er eingeschlafen. Wie ist der Schlaf für ein Wesen mit lidlosen Augen?
     Auch Herr Palomar kann sich nicht losreißen. Er starrt unverwandt auf das Reptil. Es gibt keine Kampfpause, auf die man sich verlassen kann. Selbst wenn man das Fernsehen wieder anstellt, erweitert man nur die Betrachtung der allgemeinen Massaker. Die Schattengestalt des Falters, eine zerbrechliche Euridike, versinkt allmählich in ihrem Hades. Da kommt eine Mücke geflogen, gleich wird sie sich auf die Scheibe setzen. Und die Zunge des Gecko schnellt vor.
     

Die Invasion der Stare
    In diesem Spätherbst gibt es in Rom etwas Ungewöhnliches zu sehen, nämlich den Himmel voller Vögel. Die Dachterrasse der Palomars ist ein guter Beobachtungsposten, von wo aus der Blick in weitem Umkreis über die Dächer schweif. Herr Palomar weiß von diesen Vögeln nur, was er über sie gehört hat: Stare sind es, die aus dem Norden kommen und sich zu Hunderttausenden hier versammeln, um anschließend alle gemeinsam nach Afrika aufzubrechen. Nachts schlafen sie auf den Bäumen der Stadt, und wer sein Auto am Tiberufer geparkt hat, muß es am nächsten Morgen von oben bis unten waschen.
     Wohin sie tagsüber fliegen, welche Funktion dieser lange Stadtaufenthalt in der Strategie ihrer Züge hat, was diese immensen Abendversammlungen für sie bedeuten, diese Flugübungen wie für ein großes Manöver oder eine Parade, hat Herr Palomar noch nicht so ganz verstanden. Die Erklärungen, die man gewöhnlich dafür bekommt, sind alle ein wenig zweifelhaft, konditioniert von Hypothesen und schwankend zwischen verschiedenen Alternativen. Was nicht weiter verwunderlich ist, da es sich um Gerüchte handelt, die von Mund zu Mund weitergehen, doch wie es scheint, ist auch die Wissenschaft, der es zukäme, sie zu bestätigen oder zu widerlegen, unsicher, approximativ. Bei diesem Stand der Dinge hat Herr Palomar sich entschlossen, lediglich zu beobachten, um das wenige, was ihm zu sehen gelingt, in den kleinsten Details zu fixieren und sich an die spontanen Ideen zu halten, die ihm dabei kommen.
     Am rotblauen Abendhimmel sieht er von einer Seite her einen dünnen Staubschleier aufziehen, eine Wolke flatternder Flügel. Er macht sich klar, daß es Tausende und Abertausende sind: eine Invasion, die das ganze Himmelsrund überzieht. Was ihm bis eben noch als eine stille und leere Unermeßlichkeit vorkam, erweist sich auf einmal als ganz durchdrungen von pfeilschnellen leichten

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