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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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Dann gehe ich zum Tresen und bestelle eine Tasse Kaffee und zwei Zimtschnecken. »Isch hoffe, sie schmeggen«, sagt die Frau hinter dem Tresen, während der Mann mich immer noch etwas schräg anschaut, nicht abwertend, aber schräg. Ich setze mich, muss das Ritual dreimal wiederholen. Zehn Minuten später sitze ich sicher auf dem Stuhl und trinke einen wunderbaren Kaffee und spüre zum ersten Mal seit langer Zeit, dass ich einen gewissen Erfolg im Leben habe.

    Ich sitze einfach da und trinke meinen Kaffe und blättere in etwas, was die Lokalzeitung sein muss, sehe aus dem Fenster, zu den Menschen, den Autos, den Häusern. Ich sehe ein großes braunes dreistöckiges Haus. »Pension« steht in großen Buchstaben am Eingang. Es geht mir ziemlich gut, das hier ist der beste Tag des Monats, sollte ich vielleicht zuschlagen? Eine Nacht kann nicht die Welt kosten, und vielleicht ist es das Geld wert. Ich verlasse die wunderbare Citykonditorei und komme in nur zehn Minuten raus.

    »300,-/Nacht o. Frühstck.« steht auf dem Schild am Eingang. Es wäre schön, in einem Bett zu schlafen, lange her, seit ich das hatte, und eine Dusche oder zumindest ein Bad oder die Möglichkeit, den Gestank abzuwaschen. Ich weiß, dass ich irgendwann mal duschen muss, sonst wird der Körper verfallen, auf immer und ewig nach verrottetem Fisch stinken, auch wenn ich wieder gesund geworden bin. Gesund. Und wenn ich nun nicht ganz gesund werde, wenn das jetzt das Leben ist, das ich leben werde, dann nehme ich auch das, aber selbst in so einem Leben sollte es doch dazugehören, ab und zu eine Dusche zu nehmen, oder? Natürlich ist die Gefahr groß, in der Dusche festzustecken. Wenn das passiert, dann werde ich vielleicht nie wieder aus der Dusche kommen und in meine Kleider. Oder vielleicht lege ich mich ins Bett und komme mehrere Stunden nicht hoch, schaffe es nicht aus dem Bett, der Blutpfropf wächst, schießt los und bombardiert erst das Herz, ehe er sich im Gehirn einparkt. Und in einer Woche fährt genau da, wo ich jetzt stehe, in die Einfahrt der Pension, ein schwarz angestrichener Leichenwagen rein, um die Leiche zu holen, die an doppeltem Blutpfropf starb.

    Aber ich merke doch, dass ich gut drauf bin, ich will mir etwas Gutes und Luxuriöses gönnen. Ich hole dreihundert Kronen raus und schaffe es in weniger als einer Viertelstunde in die Rezeption. Niemand da. Ich sollte klingeln, will mich aber der Gefahr nicht aussetzen – möglicherweise hat eine verseuchte Person vor mir die Klingel angefasst. Und dann …

    ... fasse ich diese Klingel an, die meine Finger ansteckt, die mein Knäckebrot anstecken, das ich esse, das jetzt von der Ansteckung der Klingel verseucht ist, die von einer Person mit Aids angesteckt sein kann, die jetzt mich ansteckt, was zur Folge hat, dass ich allein und nackt in einem Pensionszimmer an Aids sterbe …

    Ich nehme einen Handschuh aus der Ledertasche, drücke damit auf die Klingel und werfe dann den Handschuh in den Papierkorb neben dem Rezeptionstresen. Ein Mann mittleren Alters lächelt freundlich, betrachtet meine Kleidung, lächelt weiter, aber nicht mehr so freundlich. Ich bezahle im Voraus, und er erinnert mich daran, dass es ohne Frühstück ist und dass ich keinen Besuch auf dem Zimmer haben darf. »Brauche ich auch nicht«, sage ich, aber jetzt hat er schon aufgehört zu lächeln, denn ich ziehe einen neuen Handschuh an, ehe ich die Schlüssel entgegennehme, die er mir hinhält.

    Das Zimmer ist schön. Ein kleines Bett, ein Radio, braune Gardinen, Toilette und Dusche, ein hoher und schmaler, aber geräumiger Schrank. Ich werfe Handschuh Nummer zwei aus dem Fenster, natürlich so, dass es niemand sieht. Die Schlüssel lege ich ins Waschbecken, spritze sie mit Seife voll und spüle sie eine halbe Stunde lang in kochendheißem Wasser.

    So, endlich eingerichtet.

    Es ist ein schlossiges Gefühl, in seinem eigenen kleinen Pensionszimmer herumzugehen. Ich habe Lust, mich einfach nur aufs Bett zu werfen und mich in die sauberen Betttücher einzurollen, aber ich gehe das Risiko nicht ein, in irgendeinem Bettritual stecken zu bleiben, dass mir mindestens zwei Stunden von meinem Abend stehlen wird. Als ich mir die Konstruktion des Bettes näher ansehe, merke ich, dass es sowohl schmaler als auch kürzer ist als der Rücksitz des Chryslers. Somit zahle ich also nicht für den Komfort, sondern für die sauberen Betttücher. Ich setze mich aufs Fensterbrett, ruhe die Beine aus und überschlage schnell meine

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