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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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persönliche wirtschaftliche Lage. Es zeigt sich, dass ich über siebenhundertfünfunddreißig Kronen ausgegeben habe, inklusive Interrailkarte, Pension und einer Tasse Kaffee mit zwei Zimtschnecken. Siebenhundertfünfunddreißig Kronen an einem Tag. So viel Geld habe ich noch nie zuvor ausgegeben, nicht einmal in einem Monat. Überhaupt noch nie. Jetzt habe ich noch zweitausendzweihundertsechzig Kronen. Das sollte eine Weile vorhalten. Und ich finde, dass ich mit meinem neuen Leben in einer neuen Stadt in einem neuen Land einen Traumstart hingelegt habe. Die Rituale und die Tics schaffen es nicht, mich auszumanövrieren. Ich halte mich oben, besser denn je. Also gehe ich ins Badezimmer. Ich ziehe die Hosen so weit runter, wie es geht, bis sie auf den Schuhen aufkommen. Es ist trockenes und recht gutes Wetter, also muss ich heute keine Plastiktüten über die Schuhe ziehen. Ich ziehe den Mantel aus, und mein Körper fühlt sich hundert Kilo leichter an. Ich kann mich nicht erinnern, wann der Mantel meinen Körper das letzte Mal verlassen hat. Inzwischen fühlt es sich an, als sei der Mantel ein natürlicher Teil meines Körpers und nicht nur ein funktionelles und wirkungsvolles Kleidungsstück. Mein gelbschwarzes Synthie-Hemd hat eine Menge Löcher und riecht nach Schweiß. Ich knöpfe die drei Knöpfe auf, die noch dran sind, und winde mich zur Hälfte aus dem Hemd. Dann beschließe ich, auch die Schuhe auszuziehen, das muss ich einfach tun, es fühlt sich da unten nicht gut an. Die Zehen sind weiß, ich kann den kleinen Zeh kaum bewegen, und auch der große Zeh scheint nicht sonderlich gut in Form zu sein. Die Zehen des anderen Fußes sind ebenfalls weiß und mindestens genauso steif. Ich beuge mich vor, lehne mich in die Dusche, drehe den Hahn auf, und plötzlich spritzt mir das Wasser auf Gesicht und Haare, rinnt weiter das Rückgrat hinunter, zwischen den Pobacken hindurch und beendet seine Reise unten an den Zehen. Ich tue so, als würde ich duschen, aber eine richtige Dusche ist es nicht, nicht im eigentlichen Sinn. Ich habe noch nicht entschieden, ob es schön ist oder nicht, das Wichtigste ist, dass der Körper ein paar Tropfen Wasser abkriegt, für die Haut, für den Blutkreislauf, vielleicht sterben ja auch die Leopardenflecken von warmem und sauberem Wasser. Ich lasse das Wasser eins, zwei, drei, vier, fünf + eins, zwei, drei, vier Minuten laufen + vier Wiederholungen = fünfundvierzig Minuten Ritualisieren. Die Kleider sind durchnässt, auch Haare und Schuhe, das Zimmer ist zu einer Sauna aus Dampf und Wasser und Wärme in seliger Mischung geworden. Ich versuche, mir die Haare zu waschen, merke aber, dass ich meine neu gefundene Stärke nicht überstrapazieren sollte, also begnüge ich mich damit, einzelne Teile des Haares zu waschen, dort, wo der Gestank am intensivsten zu sein scheint – im Nacken, mitten oben auf dem Kopf, an den Schläfen. Die Tolle lasse ich in Ruhe. Dann lehne ich mich zurück an die Wand, schließe die Augen und warte darauf, dass Kleider und Haare und Zehen auf natürliche Weise trocknen. Ich habe Probleme, die Dusche abzustellen, eine Stunde brauche ich dafür – aus und ein, ein und aus, eins, zwei, drei, vier, fünf + eins, zwei, drei, vier + neun Wiederholungen.

    Ich sitze auf dem Badezimmerfußboden und denke, dass ich so gern das Radio einschalten würde, vielleicht einen Musiksender reindrehen oder einen Hockeysender, ein besseres Gutenachtlied kann ich mir gerade nicht vorstellen. Ich sitze auf dem Badezimmerfußboden und plane, wie ich an das Radio in meiner Ledertasche kommen kann, ohne ein paar Stunden Rituale absolvieren zu müssen. Ich sitze auf dem Badezimmerfußboden und denke und philosophiere und schmiede Pläne – und schlafe ein.

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    Ich wache gegen neun Uhr auf. Die eine Körperhälfte ist nackt, die andere hat ziemlich stinkende, feuchte Kleider an. Ich habe etwas im Mund, es sind Teile eines Zahns, den ich wahrscheinlich während eines heftigen Tics in der Nacht kaputtgebissen habe. In der letzten Zeit habe ich angefangen, im Schlaf zu ticsen, habe mir Hautfetzen rausgerissen und die Finger in die Augen gedrückt, und jetzt dieses Stück Zahn. Es ist ziemlich groß, aber ich habe keine Ahnung, von welchem Zahn es stammt. Ich habe schon ziemlich lange Zahnschmerzen, aber der Schmerz ist nicht aufdringlich, es gibt ihn einfach, fast wie ein weniger ärgerliches Ritual. Ich überlebe, indem ich ausschließlich auf der linken

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