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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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Scheuerstellen oder irgendeiner anderen Krankheit. Auch unter den Achselhöhlen und hinten im Nacken und auf der Kopfhaut juckt es. Das kümmert mich allerdings weniger, das ist einfach Dreck, Dreck, den ich eines Tages wegduschen und kaputtspülen werde. Vielleicht schon nächste Woche, nach der Arbeit mit den Fischen, vielleicht in einem Monat, aber garantiert in drei Monaten, ehe die Theaterschule beginnt. Bis ich mit der Theaterschule anfange, bin ich garantiert gesund genug, um zu duschen, die Haare zu waschen und zu schneiden. Im Januar komme ich garantiert mühelos durch die Tür zur Anmeldung in der Schule geschwebt, lächelnd und scherzend, mit frisch shampooniertem fluffigem blondem Haar und frisch gezupften Augenbrauen, und singe yes Sir, I can still boogie .

    Ehe ich den Zug besteige, kaufe ich am Bahnhofskiosk ein paar Dosen Zitronensprudel. In der Tasche liegen sicherlich noch zehn Strohhalme, die ich bisher nicht gebraucht habe. Ich finde einen Fensterplatz in der Nähe der Toilette in Wagen 14. Als der Zug aus dem Bahnhof rollt, bemächtigt sich eine traurige Wehmut meines Körpers. Ich würde so gern hier in der Stadt bleiben, anstatt freiwillig zweihundert Kilometer nach Westen in die Hölle zu fahren. Aber ich werde wiederkehren, es geht doch nur um ein paar Stunden, jetzt sei mal nicht so wehleidig, in vierzehn Stunden bist du schon wieder zurück. Morgen Vormittag stehe ich über eine Kiste Süßwasserfische gebeugt, deren Köpfe ich abschneide und deren Eingeweide ich mit meinen eigenen Fingern rausziehe. Und morgen Abend werde ich gut und lange in dem Zimmer schlafen, das mir der Bauer selbst angeboten hat. In vierzehn Stunden bin ich wieder zurück, es ist doch nur ein Tagesausflug, eine Pflicht, ein paar Stunden Rückblick in meine alte Hölle, eine Hölle, die in wenigen Stunden ein Ende nehmen wird. Ich schließe die Augen und versuche die Zwangsgedanken durch gute Zukunftsgedanken zu ersetzen.

    Einer der Zähne, nicht der, der kaputt gegangen ist, sondern der Nachbarzahn, dessen obere Schicht ich kaputt geticst haben muss, fängt wieder an weh zu tun, zu stechen und pochen, als wolle er raus oder würde gerade absterben. Vielleicht sollte ich ihn rausbrechen und so das Leiden sowohl für den Zahn als auch für mich abkürzen. Seit ich zusammen mit John Gestapo zu Hause im Dorf im Cockpit gesessen habe, war ich nicht mehr beim Zahnarzt. Zähneputzen kann ich auch vergessen:

    Wenn die Zahnbürste in den Mund geführt wird, dann ist das, als würde man eine Türschwelle überqueren, außerdem kann die Zahnbürste voller Bazillen sein, die im Waschbeutel geschlummert haben, den einer im Laden angefasst hat, der mal den Waschbeutel vorgeführt hat …

    Es tauchen Bilder und Gedanken auf, ohne dass ich selbst aussuche, was ich sehen oder denken will. Sie poppen einfach so hoch, aus dem Nichts – das Zimmer und die alte Dame und die Stadt und die Straßen und der Sender und die Urintüten und Blaubart und der Chrysler und die Krücke. Ich merke wieder, dass die Magensuppe hoch und aus dem Mund raus will. Die Unruhe steigert sich, wächst sich in den Körper hinein, vielleicht sollte ich an der Grenzstation den Zug verlassen, einen Bus zurück nehmen und lieber für das Geld, das ich auf dem Hof verdiene, neue Kleider kaufen. Jetzt juckt es wieder unter dem Nabel. Vielleicht ist es das Jucken, das die Magensuppe unten hält, aber vielleicht hängen Jucken und Spucken auch zusammen, wie zwei Teile eines gemeinsamen Körpersystems. Jedoch, ich darf nicht vergessen, den Luxus in dem Leben zu sehen, das ich jetzt gerade lebe – ich kann reisen, wann und wohin ich will, ich kann wohnen und schlafen, wie ich will, kann mich mit mir selbst vergnügen und muss mir nicht das Gequatsche und Gemeckere von anderen anhören. Doch, das ist schon luxuriös. Es gibt Leute, die bezahlen dafür, solch ein Leben führen zu können, zumindest im Sommer.

    Wir nähern uns der Grenzstation. Ich erkenne die Landschaft wieder, die Bundesstraße, die mit der Eisenbahnstrecke Händchen hält, links der Binnensee, die Volvos, das kleine Einkaufszentrum. Mir ist, als sei es mehrere Jahre her, seit ich hier war, dabei bin ich doch erst vor einem Monat in die entgegengesetzte Richtung gefahren. Ich hole den Radiowecker raus, stelle den richtigen Kanal ein und halte ihn mir direkt ans Ohr. Um die Reise zu überleben, werde ich wohl gezwungen sein, etwas vom Odin zu nehmen, vielleicht eine halbe Tablette. Schon jetzt

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