Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
Vom Netzwerk:
betrachtet ihn, befühlt ihn, schiebt ihn vor und zurück, ahmt meine Bewegungen nach. Ich sehe genau, dass er keine Ahnung hat, was einen Schläger von einem Fischrechen unterscheidet, aber er schaut nur und schaut und murmelt: »War das der Schläger oder deine eigene Kraft?«

    Ich setze mich wieder auf die Bank. Alles hält inne. Ich erinnere mich nicht, wann ich das letzte Mal ohne unangenehmes Zucken und lebensgefährliche Gedanken so still sitzen konnte. Eine halbe Stunde wird eine Stunde. Papa liest die Hauptstadtzeitungen, ich angele mit der Schnur, die Papa gekauft hat. Sie ist zum Lachsfischen gedacht, aber wenn ich sie an dem Hockeyschläger festknote und zwischen die Planken versenke, dann müsste es doch ganz einfach sein, nur zum Spaß ein paar kleine Fische herauszuziehen. Ich bewege den Schläger sanft, die Angelschnur bewegt sich rhythmisch, folgt den Wellen, die weiterhin die Poller am Kai umfangen. Und wir sitzen einfach nur da, als befänden wir uns an Bord eines großen Alaska-Kutters auf dem Weg über den Atlantik, gen Kanada und Alaska, wir liegen da und halten nach dem größten Wal Ausschau, der je auf dem offenen Meer gesichtet wurde. Und der gehört mir, er gebührt dem Ersten Harpunier, und niemand widerspricht, er gehört mir, und yes Sir, I can still boogie.

    Papa liest eine der Hauptstadtzeitungen aus. Dann schließt er die Augen, oder vielleicht schaut er auch nach Namsholmen raus, ich weiß es nicht. Wir bleiben sitzen und warten auf den letzten Bus nach Hause ins Dorf. Vielleicht sollte ich die Angelschnur oder den Hockeyschläger ins Meer werfen, damit wir den letzten Bus nach Hause verpassen, dann wären wir gezwungen, in der Stadt zu bleiben, ins Hotel zu gehen, ausländische Fernsehsender zu sehen, Kaffee aus silbernen Thermoskannen zu trinken, den Küstenexpress einlaufen zu sehen, im Präsidentenbett zu schlafen, mit Kojak auf dem Sofa zu sitzen und Fischbulettenhockey zu spielen. Papa hat mehrere Minuten lang nichts gesagt, er sitzt immer noch mit geschlossenen Augen da. Er atmet ruhig und gleichmäßig, als würde er versuchen zu schlafen. Der Briefumschlag von Kojak ragt aus der Jacketttasche, die Hauptstadtzeitungen liegen zwischen uns.

    »Nein …«, sagt er plötzlich. »Wir fahren mit dem Taxi nach Hause. Jetzt gönnen wir uns mal ein Taxi nach Hause.« Papa steht auf und sieht sich um. »Ich bin sicher, dass ich vor nur ungefähr einer Stunde das Taxi von Gunnarsson gesehen habe. Es stand vor dem Hafencafé.«

    Gunnarsson trinkt Kaffee und unterhält sich, während er auf seinem Kopf zurechtrückt, was eine Perücke sein muss – die Stirnlocke hat er im Nacken, den Mittelscheitel über den Ohren. Gunnarsson lächelt und reibt sich die Hände, als Papa ein Taxi zurück zum Dorf bestellt. Es ist erst eine Woche her, seit Gunnarsson in Trondheim war und seinen neuen 240er Mercedes Diesel Automatik abgeholt hat.

    »Davon gibt es im ganzen Land nur einen«, sagt Gunnarsson, als er die Beifahrertür öffnet.

    »Und der gehört mir«, fährt er fort, als wir alle Platz genommen haben.

    Ich spüre, wie sich das Leder auf dem Sitz sanft an meine Hosen drückt, es ist ganz wunderbar, die Hände das weinrote Leder streicheln zu lassen, ich verspüre Lust, reinzubeißen, fühle mich an das Sofa des Rektors erinnert, an Gutheit, an Feinheit, an Backpflaumen.

    Dann berichtet Gunnarsson, wie er das Auto ergattert hat, zu welchem Preis, von der Automatik, dem Komfort, dem Einzigen im Land. Er redet so lange und so intensiv, dass Papa gar nicht mit Fragen oder Folgefragen hinterherzukommen scheint.

    Ich kratze mit einem Fingernagel am Rücksitz, so dass sich ein kleines Stück Leder löst. Ich stecke es in die Tasche, nehme es wieder heraus, kaue darauf, schiebe es zwischen den Vorderzähnen hin und her, schön. Ich weiß nicht, ob ich einschlafe oder nur ein paar Sekunden wegsacke, als ich die Augen aufschlage, fahren wir jedenfalls gerade ins Dorf. Die Hauptstraße entlang zum Laden. Ich merke, wie die Leute sich umdrehen, uns und dem Auto nachschauen. Gunnarsson hat das Dach aufgekurbelt, obwohl es um null Grad ist und fast dunkel. Die Leute grüßen und nicken, manche schütteln den Kopf, so beeindruckt, so neidisch. Und auf dem Rücksitz sitzt Wayne Gretzky selbst. Natürlich fährt er erster Klasse, nachdem er nochmals den Stanley-Cup gewonnen hat, entschieden per Sudden Victory Overtime durch den härtesten Fischbulettenschlagschuss der Welt. Wir gleiten weiter, die

Weitere Kostenlose Bücher