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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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ist. Aber er scheint nicht zufrieden zu sein. Er schreibt Sachen auf, murmelt noch einmal, immer noch mit den Füßen auf dem Tisch:

    »Was denkst du also, wenn du die Arme ausstreckst?«

    Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll, denn ich weiß nicht, was ich denke, wenn ich das tue. Das passiert im Moment, der Bauch bestimmt, das Ritual setzt ein. Es zuckt im Bauch und macht Geräusche und klatscht, aber ich kann es nicht benennen, ich kann keine Worte erklären, die es nicht gibt.

    Papa muss gelogen haben, oder er leidet unter chronischen Magenbeschwerden, sein Toilettenbesuch währt jedenfalls mindestens eine halbe Stunde, vielleicht sogar eine Stunde. Als er zurückkommt, nickt er Kojak zu, der mir die Hand reicht und sagt: »Ja, dann danke, bestimmt sehen wir uns mal unterwegs.« Das mit »unterwegs« verstehe ich nicht wirklich, aber ich gebe ihm trotzdem die Hand und gehe ins Wartezimmer. Papa und Kojak bleiben noch im Büro. Ich kann Papas Stimme hören, sie ist eifrig und fragend, und er spricht nicht über Lachsangeln, das höre ich genau. Während ich warte, drehe ich den Schläger am Griff in der Hand, versuche den richtigen Handgelenkwinkel einzunehmen und mich gleichzeitig daran zu erinnern, warum Kojak vorige Woche der Samstagsgast in der Lokalzeitung war. Aber ich erinnere mich nicht, denn ich habe das Interview ja auch nicht gelesen. Vielleicht hätte ich es lesen sollen, das mit dem Umzug nach Springfield in Minnesota klingt doch irgendwie spannend.

    Papa und Kojak kommen gemeinsam heraus, sie lächeln. Papa hat einen braunen Briefumschlag in der Hand. Ehe wir uns trennen, übergibt Papa Kojak einen weißen Briefumschlag, den dieser in die Jacketttasche steckt, ungefähr so, wie Gene Hackman es in French Connection – Brennpunkt Brooklyn macht. Dann geben wir uns ein letztes Mal die Hände.

    Wir gehen direkten Weges zum Fischgeschäft unten am Hafen. Papa kauft frische Fischbuletten, die so warm sind, dass man sie mit Plastikgabel und Serviette essen muss. Fischfett ist gut für die Beine, sagt er. Ich esse vom Fleck weg zwei Stück. Als wir das Fischgeschäft verlassen, kommt irgendwo da draußen auf dem Atlantik zwischen den Grießbreiwolken die Sonne heraus. Wir nehmen noch Fischbuletten, etwas Brot und Servietten mit und suchen uns eine Holzbank neben einem Poller, der hart und kompakt ist, nass gegen trocken. Ich mag das Geräusch, es ist ein gutes Geräusch, das Schwappen fühlt sich gut an, vielleicht beruhigend, als würde ich beim Zahnarzt sitzen mit dem Wassergeräusch in den Ohren und das Speichelsaugerstück zwischen den Fingern drehen. Papa holt die letzte Fischbulette heraus. Sie ist sechs Zentimeter breit, vier bis fünf Zentimeter hoch, rund, braun, weiß, frisch.

    »Das ist deine«, sagt er und tut so, als würde er sie vor das Blatt des Hockeyschlägers werfen. Ich betrachte die dampfend frische Fischbulette. Papa betrachtet den Schläger, ich dann Papa, Papa mich, ich den Schläger. »Einen frischeren Einmalpuck findest du nicht«, sagt Papa.

    Er lehnt sich auf der Bank zurück und legt die Hauptstadtzeitungen auf den Schoß. »Gern einen Schlagschuss«, fügt er noch hinzu.

    Es zuckt im Bauch, ein gutes, schnelles, tickendes Zucken. Ich lege den Fischbulettenpuck zurecht, zwischen Schlägerblatt und Kaikante. Ich senke das Schlägerblatt, drehe das Handgelenk, vor und zurück, vier Mal, yes Sir. Ziehe den rechten Arm zurück, schaue auf den Fischbulettenpuck, auf Papa, der zu mir schaut, der auf den Puck schaut, der Richtung Meer schaut, der auf den Puck schaut – Zucken im Bauch, Geräusch. Der Arm holt Schwung, die Augen peilen den Puck an, ein Schritt zurück, zwei vor, ready for take-off – poffff. Ich schaffe es, vor der Kaikante abzubremsen, aber der Fischbulettenpuck, der fliegt davon, hebt von der Kaikante ab, an den Schiffen vorbei, über die Insel, hoch zu den Grießbreiwolken, die Möwen verfolgen ihn wie F-16-Aufklärer, die Automotoren werden angehalten, die Leute staunen, der Fischbulettenpuck verschwindet hinaus in die Atmosphäre, wieder runter, hoch in den Himmel, wieder runter, über die Küstenbrücke, hinaus zum Meer, über den Atlantik, fasten your seat belts, poffff . Stille. Die Autos fahren weiter, die Leute kaufen weiter ein, alles geht weiter, sogar die Möwen kehren zu ihrem Stützpunkt, dem Dach des Fischgeschäfts, zurück.

    »Unglaublich«, murmelt Papa und bittet darum, meinen neuen Schläger noch einmal ansehen zu dürfen. Er

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