Herr Tourette und ich
stehen (die Zuschauer wussten ja nicht, dass das andere Bein verletzt war).
Ein Zirkus kaufte Nikolaisen und den Pinguin, und sie reisten mit ihrer Pinguinshow um die ganze Welt. Bis eines schönen Sommertages vor vielen Jahren ihr Boot zufällig in einem Hafen in Anchorage in Alaska anlegte. Der Pinguin von Nikolaisen verliebte sich in einen anderen Pinguin und ließ Nikolaisen an Bord des Schiffes sitzen. Nikolaisen war so deprimiert, dass er zu trinken anfing, und das Ganze endete damit, dass er am Kap der Guten Hoffnung vom Schiff sprang und über das Eis ging, um seinen geliebten Pinguin zu suchen. Niemand weiß, ob er den Pinguin je fand oder ob dieser ihn fand. Es gibt jedenfalls niemanden, der von einem der beiden eine Ansichtskarte bekommen hätte.
In Mosjøen kann man also alles Mögliche an den Haken bekommen.
Der Kopf wiegt gewissermaßen weniger, obwohl doppelt so viele Gedanken drin sind wie vor der Reise. Vielleicht wiegen gute Gedanken weniger als schlechte, vielleicht ist der Kopf immer noch genauso groß wie vorher. Vielleicht haben die guten Gedanken den schlechten einen gehörigen Schrecken eingejagt, und plötzlich kommt einem alles leichter vor, auch der Kopf. Wenn ich aus Mosjøen zurückkehre, fühle ich mich stärker, weniger ängstlich, vollgestopft mit Energie. Zumindest auf dem Weg nach Hause, im Speisewagen, über einer Sprite. Wenn ich nach Hause komme, habe ich bessere Laune, schlafe ausgezeichnet, und es geht mir einfach gut.
Doch in der Schule geht die Routine weiter. Die Gruppe zieht am Gürtel und stopft mir die Ohren mit Schneegraupelbällen voll, aber ich fühle mich trotzdem stärker, bleibe beinhart auf allen vieren stehen. Nach vier Tagen in Mosjøen lande ich nie auf dem Bauch. Die Gruppe ärgert sich über meine Sturheit, staunt über meine Energie und gibt oft auf, wenn ich wie wild anfange zu lachen und zu rufen und zu spucken. Da ziehen sie sich zurück, als hätten sie Angst, dass ich ausflippen und ein Monster werden könnte, ein Monster auf vier Beinen mit weit aufgerissenem Maul.
Die Rache (jetzt, verdammt noch mal …)
Sport.
Ich ziehe mich in weniger als einer Minute um, ich schleiche einfach ganz früh in den Umkleideraum hinunter, ehe die anderen kommen, auf diese Weise kann ich nicht in irgendeinen Kampf oder ein verbales Kauen vor der Sportstunde geraten. Nach der Stunde ist es noch schlimmer, wenn wir duschen sollen und ich genötigt bin, mich mit den anderen zusammen umzuziehen. Das Duschen ist am anstrengendsten. Nicht nur, weil es unter der Dusche immer am turbulentesten zugeht, sondern weil mich die Unruhe im Gedanken an all diese unsichtbaren und stinkenden Bakterien umtreibt, die wild zwischen Dusche und Sauna herumfliegen. Wasser zieht Bazillen an und umgekehrt. Wenn ich also duschen soll – die paar Mal, in denen ich es nicht vermeiden kann –, dann fühle ich mich verwirrt und ticsig und nervös. Eine Art Alles-auf-einmal-Zustand.
Wie immer bin ich der erste Schüler in der Sporthalle. Ich nehme den Bauer-Schläger und dribble mit einem kleinen Gummiball, spiele frei, bis die anderen kommen, bevor die Unterrichtsstunde beginnt. Es kneift mich im Bauch, aber die Wayne-Gretzky-Gedanken sind gute Gedanken, die die Duschgedanken knockout schlagen. Ein paar Minuten später taucht Line auf. Sie trägt immer diesen schwarzen Trainingsanzug und die roten Puma-Schuhe, und dann hat sie mindestens tausend Haarklemmen in dem etwas wilden, ungekämmten Haar verteilt. Niemand hat solche Haare wie sie. Ich mag sie. Sie lächelt mir zu, ich erwidere das Lächeln, und da ich nicht richtig weiß, was ich sagen soll, schlage ich stattdessen einen steinharten Schlagschuss direkt in die Gummimatte. Sie sieht es nicht einmal.
Wir dürfen zwischen Basket- und Volleyball wählen. Wir wählen Basketball, denn es dauert so lange, das Volleyballnetz aufzubauen. Dann müssen wir Mannschaften wählen. Wir stehen in einer Reihe nebeneinander und warten darauf, ausgewählt zu werden. Einer nach dem anderen. Wir schielen zu den anderen, versuchen uns gegenseitig zu imponieren, versuchen uns groß und stark zu machen oder klein und beweglich. Der Sportlehrer, der palavert wie eine Bingotante, bittet Lena und Frank, die Mannschaften zu bilden. Nach sieben Jahren zusammen wissen wir, wen wir in der Mannschaft haben wollen, und vor allem, wen wir nicht haben wollen. Oskar ist cool und wirkt selbstsicher, aber trotzdem ist er nicht Lenas erste Wahl. Das bin ich. Ich sage
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