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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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besiegen. Was ich natürlich für selbstverständlich halte.

    Zucken im Bauch, Geräusch, yes Sir .

    Anton stellt sich mitten zwischen die Holzschuhe, zeigt auf den Geldbeutelpuck, starrt mir geradewegs in die Augen, sagt:

    »Los geht’s.«

    Und es geht los, und ich will gerade den ersten Schuss abfeuern, als Anton flüstert:

    »Und jetzt der erste Schuss von Wayne Gretzky … yes … eins zu null für Gretzky … und jetzt ist der Torwart an der Reihe.«

    Anton geht zum Geldbeutel, ich zum Tor. Anton beugt sich herab, legt den Geldbeutel zurecht, richtet sich auf, streckt sich, geht in Position und zielt. Seine Augen werden feuchter, das Gesicht röter, der Körper wütender, als würde er die kollektive Rache des ganzen Lehrerzimmers und aller Möwen repräsentieren. Jetzt werde ich es dir mal zeigen, Junge . Ich habe meinen Sportkommentar schon aufgegeben. Seine Körperhaltung und sein Auftreten erschrecken mich, ich kann nicht mal »Gretzky« sagen, da landet er schon seinen ersten Schuss, steinhart und gut platziert und bestimmt.

    1 : 1.

    Anton jubelt nicht mal. Vorsichtig geht er an mir vorbei, stellt sich schweigend zwischen die Holzschuhe. »Du bist an der Reihe, Gretzky«, sagt er leise, jetzt rollt die Halspastille wieder zwischen Zähnen und Zunge. Ich bin ein wenig nervös, 1 : 1. Am besten versetze ich ihm jetzt mal richtig eins. Ich ziele, bin aber doch nicht richtig konzentriert, sein 1 : 1 macht mich ein wenig nachdenklich, aber ich reiße mich zusammen und knalle drauf.

    2 : 1.

    »Gretzkys zweites Tor ist steinhart, der Torwart kann nicht mal auf zwei zählen. Gretzky, yes Sir.«

    Ich bin obenauf, als hätte ich schon das Match gewonnen.

    Anton zielt, führt exakt dasselbe Schussritual aus wie zuvor, versteckt die Halspastille unter der Zunge.

    »Nun der Torwart mit seinem zweiten Schuss. Jeder kann sehen, wie nervös er ist …«

    Er schießt steinhart.

    2 : 2.

    Ich schaffe es nicht einmal zu reagieren. Steinhart, mitten zwischen den Beinen hindurch, zum Teufel …

    Ich bin gar nicht mehr so selbstsicher, das merke ich. Dann vergesse ich auch noch, das Match selbst zu kommentieren. Und ich merke, dass es in meinem linken Fuß zieht. Das muss Antons Schuss gewesen sein, der am Fuß abgeprallt und dann ins Tor ist. Anton hat steinhart geschossen, der Geldbeutel ist voller Münzen, der Geldbeutelpuck hat die Innenseite meines linken Fußes getroffen, und das tut weh, so dass …

    »Ich warte«, sagte Anton.

    Ich schieße. Und daneben.

    2 : 2.

    Anton grinst nicht, kein Hohn, er kommentiert nicht. Er geht an mir vorbei und führt exakt dasselbe Ritual durch wie zuvor, von der Halspastille scheint nur noch der Geruch übrig zu sein. Er zielt, starrt mich an, feuchte Augen, wütender Körper, rotes Gesicht. Ich vergesse, mich auf den Geldbeutelpuck zu konzentrieren, der linke Fuß zieht …

    2 : 3.

    Wieder – hart, mitten rein, konsequent und bestimmt.

    Es zuckt im Bauch, die Nervosität übernimmt das Ruder, drängt die Tics beiseite, die Konzentration, schickt Wayne Gretzky weg. Ich schieße wie ein verdammter Amateur. Und wieder daneben, Salamischeiße …

    Die Zeit zwischen den Schüssen wird immer kürzer, die Schüsse schlechter, ich schwitze, der Kopf tut weh, im Fuß zieht es. Ich fühle mich wie ein Verlierer, aber Anton scheint das immer noch nicht zu scheren. Nicht einmal als er mich mit seinem 2 : 5-Schuss killt, jubelt er. Stattdessen zieht er die Holzschuhe an, langsam und methodisch, geht zu mir, reicht mir die Hand. Wir bedanken uns beim anderen für das Match. Dann holt er einen Kamm aus der Gesäßtasche, kämmt sich das dicke, graublaue, wellige Haar nach hinten, wie Gene Hackman in The Pretender Minuten, bevor er den Kommunisten umbringt.

    Ich stehe immer noch am selben Platz, mitten zwischen dem, was einmal Torpfosten und Holzschuhe waren. Ich fühle mich wie ein Verlierer, ich schwitze, der Kopf tut mir weh, die Verwirrung ist so groß, dass ich eigentlich wegrennen und mich irgendwo verstecken muss. Aber ich bleibe.

    Er legt mir die Hand auf die Schulter. Dann führt er mich aus dem Werkraum zum Schulhof. Da gehen wir eine Weile rum. Niemand sagt etwas. Außer uns ist niemand draußen. Ich habe nicht das Gefühl, etwas sagen zu müssen, will nichts sagen, habe absolut nichts zu sagen. Anton legt jetzt seine Hand schwer auf meine Schulter. Wir bleiben stehen, er sieht mich ernst an und sagt leise, aber klar und deutlich:

    »Es ist nicht leicht. Das ist es

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