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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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keinen menschlichen Kontakt zu haben und vermeidet Melonenköpfe und Marzipanhirne. Abgesehen vom Geld sind die Vorteile zahlreich: erträgliche Arbeitszeiten, freie Nachmittage und eine kostenlose Zeitung. Ich wandere aufgeräumt und fröhlich weiter und vergesse fast, dass ich zwei Kreuzungen überschritten habe, ohne viermal zurückzugehen – an einem Morgen wie diesem genügt zweimal.

    Um drei Uhr am folgenden Tag habe ich einen Job, und zwar als Zeitungsausträger. Ich fange um halb vier Uhr morgens an und muss spätestens um neun Uhr fertig sein. Da ich sowieso nicht sonderlich gut schlafe, kann ich ebenso gut aufstehen und arbeiten gehen. An den ersten beiden Tagen werde ich eingelernt. Ein hochgewachsener Literaturstudent um die dreißig mit schütterem Haar zeigt mir, wie man es nicht macht. Wie man es macht, wissen schließlich alle.

    Mein wichtigstes Arbeitsmittel ist ein sehr dicker Plastikordner mit den Adressen drin und ein sehr schwerer Zeitungskarren mit leeren Plastiktaschen drin. Um Viertel nach drei kommt ein weißer Mitsubishi mit Vierradantrieb und bringt die Zeitungen aus der Druckerei. Die Zeitungsbündel sind in Plastik eingepackt, also beginnen wir den Arbeitstag damit, das Plastik wegzuschneiden, die richtige Anzahl Zeitungen herauszuholen und sie in Bündeln in den Zeitungswagen zu legen. Ich entscheide mich dafür, mit dem Karren zu laufen, die anderen machen ihn am Fahrrad fest.

    Der Literaturstudent zeigt mir, wer wo wohnt, und nennt mir dazu noch den VIP -Faktor, den Tanten- und den Onkelfaktor, den Lesbenfaktor und den WG -Faktor. Der Literaturstudent scheint sie alle zu kennen.

    »Das hier ist eine verdammte Hundegegend«, warnt er. »Aber Hundekacke an den Füßen ist immer noch besser als Katzenpisse in der Nase«, sagt er, während er mir zeigt, wie man die Zeitung zusammenfaltet, damit sie gleich beim ersten Versuch perfekt in den Briefkastenschlitz gleitet. »Wenn du das lernst, kommst du früher nach Hause, als du denkst. Falte von Anfang an richtig, und du sparst mindestens dreißig Sekunden bei jeder Zeitung. Das macht bei hundert Zeitungen dreitausend Sekunden, was auf einer Runde fünfzig Minuten macht, also musst du für denselben Lohn fünfzig Minuten weniger arbeiten. Also, lerne bloß, die Zeitung richtig zusammenzufalten.«

    Meine Runde geht durch ein schickes, sehr kleines, britisch anmutendes Wohngebiet mit roten Häusern, Ziegeldächern, Mäuerchen und kleinen, niedlichen Gärten. Das Viertel liegt nur ein paar hundert Meter von meiner eigenen Wohnung entfernt.

    »Die Runde kann so kurz wie möglich sein«, schärft mir der Literaturstudent ein, »aber nicht länger als dreieinhalb Stunden, um sieben Uhr müssen alle ihre Zeitung haben. Sonst kommt Mengele selbst.«

    »Mengele?«

    »Eigentlich heißt er Johansen. Der bringt jeden Soldaten dazu, sich in die Hosen zu scheißen, indem er ihn nur ansieht. Er fährt diesen Mitsubishi mit Vierradantrieb. Und er bleibt nie, steigt niemals aus dem Auto. Er verschwindet einfach … ja, genau wie Mengele. Aber … rate mal, wer den Rekord hält.«

    »Den Rekord?«

    »Die schnellste Runde …«

    »Du vielleicht …?«

    »Eine Stunde und fünf Minuten. Dazu noch im Februar mit Schnee und Chaos. Sie sagen, das sei die schnellste Runde, die jemals einer in diesem Viertel hingelegt hat. Angeblich hat es in den Siebzigerjahren mal einen gegeben, der eine knappe Stunde gebraucht hat. Aber da hatte man ja auch nur halb so viele Abonnenten. Außerdem soll gerade dieser Zeitungsausträger ein Profisportler gewesen sein, der bekannteste Orientierungsläufer des Landes. Es heißt, er habe schon nach zwei Tagen alles auswendig gekonnt. Ich habe fünf Tage gebraucht«, sagt der Student.

    Ich brauche achtzehn Tage.

    Ich gehe früh schlafen, was bedeutet, dass ich in der ersten Woche kaum ins Bett gehe. Drei Stunden Schlaf reichen mir. Und ich ziehe auch nicht alle Kleider aus, ehe ich mich hinlege, so spare ich mindestens drei Stunden, und es erleichtert die Morgenrituale.

    Ein paarmal unterhalte ich mich mit den anderen Zeitungsausträgern, aber wir sehen uns kaum, weil sie sowohl schneller als auch effektiver arbeiten als ich. Wenn ich zur Abholstelle komme, dann haben sie schon mit ihrer Runde begonnen. Ansonsten rede ich nicht mit vielen, denn ich rede ja überhaupt mit nur wenigen Leuten. Ich rede mehr an jemanden hin, als dass ich mit jemandem rede. Die erste Woche läuft recht gut. Ich komme rechtzeitig an und schaffe

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