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Herr Tourette und ich

Herr Tourette und ich

Titel: Herr Tourette und ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pelle Sandstrak
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beiseite, legt alles auf die Staffelei. Ganz plötzlich, als sie auf mich zugeht, zieht sie den Morgenrock aus. Sie legt ihn auf die Matratze und setzt sich dann hin. Sie sieht mich an, meine Nase, meinen Mund, die Augen, und dann sagt sie, selbstsicher und bestimmt:

    »Jetzt will ich dich ganz nackt sehen …«

    Sie beugt sich über mich und zieht mir langsam die Unterhose aus. Der eintätowierte Stuhlgang unten im Herz der Unterhose scheint ihr egal zu sein. Ich weiß eigentlich nicht, was ich selbst denke. Ich bin noch nie zuvor in einer solchen Situation gewesen, und deshalb kann ich nicht wissen, was oder wie ich denken soll. Ich überlasse alles ihr. Sie steht auf, sitzt halb auf der Matratze. »Sieh mich an«, sagt sie. Ich sehe sie an. Und dann beginnt sie, sich selbst zu streicheln. Immer weiter. Und immer weiter. Und ich sehe zu. Aber plötzlich tätschelt sie meine Wange mit einer Hand und ruft: »Sieh mich an …« Und ich sehe und sehe und sie streichelt und streichelt. Ich sehe an meinem eigenen Körper herunter, und sehe etwas hängen und schaukeln, etwas, was nicht in eine stehende Position gekommen ist, und ich schäme mich und fühle mich klein wie ein Kind, wie etwas komplett Superidiotenhaftes auf zweieinhalb Beinen, verdammter Tannenzapfen … sie lässt sich nach hinten fallen, bleibt auf dem Rücken liegen und sieht zur Deckenlampe hoch. Ich sehe sie an. Sie sieht mich nicht, sieht zur Decke hoch, aber ich sehe sie an und sehe ihre Waden und Unterarme und Brüste und ihren Hals. Sie ist älter, so viel älter, denke ich. Ich will weglaufen, habe aber Angst, auch noch nackt vor den Türschwellen stecken zu bleiben. Stattdessen denke ich an Waldorfsalat und Ahornsirup und überlebe den Rest der Nacht ohne Toilettenbesuch.

    Es muss mitten in der Nacht sein, als ich merke, wie mich jemand zu wecken versucht. Die Frau sitzt neben mir auf der Matratze. »Du musst jetzt mal gehen«, sagt sie.

    Als ich aufstehe, fühlt es sich wie ein Zucken im Bauch an, ein Tic ist fast auf dem Weg. Dann bin ich vollkommen überrascht – ich habe Hose und Hemd und Strümpfe und Unterhose an. Ich gehe ins Badezimmer, betrachte mich im Spiegel, befühle die Kleider, wasche mir das Gesicht mit kaltem Wasser. Doch. Die Kleider sitzen am Leib. Vielleicht habe ich sie heute Nacht angezogen. Vielleicht im Schlaf. Vielleicht hat sie es getan. Mitten in der Verwirrung darüber, dass die Kleider mir wirklich am Leib sitzen, verspüre ich eine ungeheure Erleichterung und Freude – ich muss mir die Kleider nicht anziehen, muss nicht mehrere Stunden lang ritualisieren und zwangshandeln.

    Sie begleitet mich zur Haustür.

    »Wir sehen uns«, sagt sie.

    »Tun wir das?«

    »Du hast doch versprochen, meine Plattensammlung zu analysieren.«

    Ich komme im zweiten Versuch aus dem Haus, sie scheint nichts zu merken. Dann ruft sie mich noch einmal zurück:

    »Hier … das habe ich fast vergessen. Fünfhundert Kronen für die Arbeit als Modell. Wir sehen uns, nächsten Sonntag, dieselbe Zeit. Und zieh dir um Himmels willen mal etwas Frisches an. Du verpestest ja unser Haus.«

    Ich sehe sie nie wieder. Doch. Ein paar Monate später sehe ich ein Bild von ihr in der Zeitung. Offensichtlich ist sie eine sehr erfolgreiche Künstlerin, und sie hat im Künstlerhaus eine Vernissage. Eine Gruppe von Künstlern macht eine gemeinsame Ausstellung zum Thema »Globale Offenheit«. Mir wird schlecht, als ich begreife, dass mein Körper und meine Tics vermutlich auch ein Teil der Offenheit dieser Künstler sind. Ich habe vor, zur Vernissage zu gehen und in die Champagnergläser zu pinkeln, sehe aber schnell ein, dass ich auf dem Weg dorthin viel zu viele Türschwellen würde überschreiten müssen, ich würde sowieso nur steckenbleiben. Also beschließe ich, stattdessen die Champagnerkünstler zu hassen, und das gelingt mir auch mit einigem Erfolg.

Such dir ein Leben, du fauler Sack

    Ich verlasse das Haus der Frau und marschiere nach Hause, wie immer in meinem eigenen Tempo, meinem eigenen Rhythmus, einem Rhythmus, der es mir an einem frühen Morgen wie diesem recht gut gehen lässt. Ein paar Kilometer später grüße ich einen Zeitungsausträger. Der scheint auch zufrieden, er grüßt fröhlich zurück, als könnte er kaum glauben, dass ein einsamer Spaziergänger freiwillig um fünf Uhr morgens einen einsamen Zeitungsausträger grüßt. Zeitungen austragen, das scheint eine friedliche Arbeit zu sein. Man arbeitet selbständig, braucht

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