Herrchenjahre
kränkt, habe ich umgehend den Workshop Calming Signals – Beschwichtigungssignale und ihre Interpretationsmöglichkeiten belegt. Ich habe zwar schon einmal versucht, erst ein teures Fachbuch und anschließend meinen Hund zu lesen, weil irgendein Klugscheißer versprach, dass sich alle Probleme von selbst erledigen, wenn ich nur meinen Hund richtig interpretiere. Das erwies sich jedoch als sehr schwierig, weil Luna nicht so schön still hielt wie das Buch. Von einem ordentlichen Calming Curs unter der Leitung eines erfahrenen Calming-Crause – abgekürzt CC – verspreche ich mir mehr.
»Vorderkörpertiefstellung? Nicht die Spur«, sage ich. »Brust raus. Schwanz hoch. Nase kraus.«
»Na ja, je nachdem, wie die Ohren liegen, könnte es auch Unsicherheit gewesen sein«, orakelt CC.
»Ich kann aber in so einer extremen Situation nicht auch noch Öhrchennuancen wahrnehmen«, beschwere ich mich.
»Das kann man lernen«, sagt CC. »Deshalb seid ihr mit euren Hunden hier.«
Wir stehen an einem Sonntagmorgen im Hildener Stadtwald. Luft ist lau, Himmel blau. Alle beteiligten Vierbeiner liegen brav am Waldwegrand. Noch bevor wir mit unserer ersten Lektion – sie heißt Alle Augen auf die Ohren! – beginnen können, kommt ein hundeloses Ehepaar des Wegs. Er geht am Stock, erhebt denselben und stürmt auf uns zu. Wir Zweibeiner kriegen die volle Breitseite.
Der Hund an sich sei das Überflüssigste, was man sich vorstellen könne, wenn es nach ihm ginge, könne da ruhig mal ordentlich aufgeräumt werden, außerdem habe seine Frau immer Hundekacke am Schuh und er die Nase voll, und wenn er uns noch einmal sähe, er könne auch gleich die Polizei, der Schwager habe gute Beziehungen, zu lachen
gebe es hier gar nichts, seine Frau Margret, komm mal rüber, Margret, du bist Zeuge, alles müsse er sich ja nun AUCH NICHT BIETEN LASSEN!
So ganz verstehe ich sein Anliegen nicht. Ich bin noch müde.
Hellwach werde ich erst, als ich unseren tapferen CC rufen höre: »Gnädige Frau, könnten Sie bitte Ihren Mann anleinen. Wir fühlen uns bedroht.«
Die Frau ist zwar nicht in der Lage, ihren Mann angemessen zu beschwichtigen, wartet aber mit einer ausgezeichneten Legende auf: »Der hat heute sein Zäpfchen noch nicht gehabt.«
Gerdi flüstert mir zu: »Wir hätten mal auf seine Ohren achten sollen.«
»Gutes Stichwort«, bellt CC. »Gerdi, guck jetzt genau hin, was dein Sam da macht. Lies mal. Wie geht es ihm?«
Gerdis goldiger Labrador fläzt wie immer auf der Erde und blinzelt gähnend in die Sonne.
»Der fühlt sich prima«, sagt Gerdi. »Wenn es nach ihm geht, können wir hier ein Stündchen bleiben.«
»Das sehe ich ganz anders«, sagt CC. »Dem Sam ist die Situation unangenehm. Er hat sich von Frida weggedreht und versucht sie durch Gähnen zu beschwichtigen. Achte auf die Blickrichtung. Das Blinzeln verrät Unsicherheit.«
»Er ist müde und guckt direkt in die Sonne«, sagt Gerdi. »Da muss er blinzeln.«
»Aber nicht so«, sagt CC. »Sonnenblinzeln sieht ganz anders aus als Unsicherheitsblinzeln. Der Blick flackert quasi und schweift ziellos hin und her. Du musst nicht nur auf ein Kriterium schauen. Betrachte den ganzen Hund. Kopf, Rute, Ohren, Fang, Gähnen, Blinzeln, Blickrichtung, Gebäudehaltung.«
Der – wie wir nun wissen – völlig gestresste Sam kippt mit einem behaglichen Seufzen auf die Seite und schläft ein.
Frida, das kleine Chihuahua-Mädchen, rückt maulend zur Seite.
»Gebäude- was?«, fragt Fridas Frauchen.
Wir sind halt alle Anfänger.
Allein die Lefzenkunde!
Lefzen nach hinten gezogen oder Lefzen nach oben gezogen? Lefzen schwach nach hinten und oben gezogen oder Lefzen stark nach hinten und oben gezogen? Lefzen grinsend zurückgezogen oder Lefzen offen nach hinten oben gezogen? Keine Zähne sichtbar, wenige Zähne sichtbar, mehrere Zähne sichtbar oder ganzes Gebiss sichtbar?
Wir starren unsere Hunde an und sehen – da bin ich mir sicher – in ihren Augen irritierend dämlich aus.
»Also ich erkenne gar nichts«, sagt Christian und mustert seine Bordeauxdogge Paul, die schmatzend in der Sonne liegt. »Ich sehe nicht mal, ob sich eine Lefze überhaupt bewegt. Und ich gucke ihm jetzt direkt vor den Kopp. Normalerweise sehe ich den Quadratschädel von oben. Da ist Signalinterpretation erst recht unmöglich.«
»Ich geb’s zu«, lenkt CC ein. »Bei so einem Lappenmonster wie Paul, na ja. Ob der mit seinen meterbreiten Lefzen jetzt beschwichtigt oder droht, ist schwer zu
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