Herrchenjahre
beurteilen.«
»Sag ich doch«, sagt Christian.
»Da musst du eben zusätzlich auf seine Stimme hören. Knurrt er, scheppert’s gleich. Knurrt er nicht, scheppert’s nicht.«
»Auch das noch«, stöhnt Christian. »Der knurrt doch auch, wenn ich ihn hinter dem Ohr kraule.«
»Dann heißt es Obacht!«, warnt CC.
»Nein, der knurrt vor Behagen.«
»Ah so. Nun, es hat ja keiner behauptet, dass das hier einfach wird.«
In den drei Wochen, in denen ich verzweifelt versuche, Luna anhand von zwanzig Körpersignalen und hundert Interpretationskriterien optimal zu lesen, schreitet auch die Genesung der Ridgeback-Hündin zügig voran. In regelmäßigen Abständen erkundige ich mich telefonisch und erfahre Erschütterndes.
Das bemitleidenswerte erste Opfer meiner angeblichen Hundleseschwäche wird noch am Tag des Vorfalls notärztlich versorgt. Frauchen ist so aufgeregt, dass sie nach Lunas Abzug keinen Schritt mehr alleine gehen kann. Der Gatte fährt auf dem Feldweg vor, lädt Frau samt Hund ein und fährt sie in die nächstgelegene Tierklinik.
Der Doc, nicht faul, krempelt die Ärmel hoch und verarztet das kleine Loch im Ohr zum stattlichen Sonntagstarif von zweihundertfünfzig Euro.
Anderntags wird sicherheitshalber bei einer Düsseldorfer Koryphäe – »Guten Tag. Hundert Euro. Was kann ich für sie tun? Zweihundert Euro.« – eine Zweitmeinung eingeholt. Die kann zwar nicht mehr sagen, als dass alles sehr gut aussieht, weist aber auf die einskommafünfprozentige Wahrscheinlichkeit einer Knorpelkomplikation hin.
Fortan hat die Ridgeback-Hündin in den Telefonaten keinen Namen mehr.
Frauchen spricht nur noch von Meine Patientin.
Volle sieben Tage lang trägt Meine Patientin einen sündhaft teuren Ganzkopfverband, der täglich gewechselt wird. Normalerweise verbindet der Arzt ein Ohrloch nicht. Wenn
überhaupt, stülpt er dem Hund einen Kunststofftrichter über, damit er sich nicht kratzen kann. Ridgeback-Frauchen lehnt das ab. Meine Patientin werde durch das Tragen eines Trichters physisch, psychisch und mental derart beeinträchtigt, dass eventuell mit langanhaltenden Befindlichkeitsstörungen gerechnet werden müsse.
Damit sie sich mit ihrer Pfote den Verband nicht von der Birne schält, schläft Meine Patientin neben Frauchen im Bett. Beim leisesten Zucken wird sie mit Trost und Zuspruch überschüttet.
Das Ohr heilt gut, und meine Haftpflichtversicherung zeigt mir den Vogel. Luna sei ordnungsgemäß angeleint gewesen, so der Sachverständige, und von einem freilaufenden Hund angegriffen worden. Man sehe da keinen Handlungsbedarf und nehme von einer Kostenübernahme mit freundlichen Grüßen Abstand.
Nach einer Woche spuckt Meine Patientin Blut. Frauchen sagt, das rühre von dem verzweifelten Schreien während der Attacke her. Dabei habe sich ein in der Lunge verkapselter Festkörper gelöst. Die Hündin wird nach Hannover zu Spezialisten verbracht, wo ihr in Vollnarkose die Hälfte des linken Lungenflügels amputiert wird. Sie überlebt auch das, worüber ich sehr, sehr froh bin, auch wenn es nichts mit unserem Zusammentreffen zu tun hat. Für Ohrläppchen- und Lungenflügelbehandlung wechseln geschätzte fünftausend Euro den Besitzer, Rehamaßnahmen nicht inbegriffen.
»Und? Hast du sie nochmal getroffen?«, will Gerdi wissen, während sie mit zusammengekniffenen Augen den Rutenwinkel von Sam begutachtet.
»Ja«, sage ich. »Beide werden auf ihren Spaziergängen psychologisch betreut.«
»Du machst Witze«, sagt Gerdi.
»Nein«, sage ich. »Ridgeback-Frauchen hat mir gesagt, Meine Patientin brauche Unterstützung. Sie gehe nicht mehr so unbefangen auf Hunde zu wie früher.«
»Das ist gut für uns alle«, nickt Gerdi.
»Was?«, frage ich.
»Dass dieses Kalb nicht mehr so unbefangen auf uns zugeht wie früher.«
Ich mustere meine zuckersüße Luna, die dem sabbernden Paul gerade schöne Augen macht, und versuche zu ergründen, ob ihre Ohren nach hinten eng anliegen oder nach hinten unten eng. Im ersten Fall hätte Paul es mit einer offensiven Drohung zu tun, im zweiten Fall mit passiver Unterwürfigkeit.
Weiter vorne versucht Frida-Frauchen, das Rätsel Chihuahua zu ergründen.
»He, Frida leckt sich über die Nase«, sagt sie.
»Wo ist das Problem?«, fragt CC, der die Situation blind beurteilt, weil er mal kurz hinter einen Busch muss.
»Du hast gesagt, das sei Beschwichtigung«, sagt sie. »Aber ich bedrohe sie doch gar nicht.«
»Vielleicht empfindet sie dein Vorbeugen als
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