Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Herrchenjahre

Herrchenjahre

Titel: Herrchenjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Frey Dodillet
Vom Netzwerk:
Entschuldigung des Halters?
    Nicht die Bohne. Stattdessen tönt nur wieder einer dieser dämliche Sprüche durch den Wald, die ich schon auswendig kenne: »Das macht der nur, weil er im Alter von vier Monaten von
    • einem großen Hund
    • einem schwarzen Hund
    • einem großen schwarzen Schäferhund
angefallen wurde. Jetzt stürzt er sich aus lauter Unsicherheit zuerst auf die anderen.«
    Unsicher? Ein Hund, der dreißig Meter vorausläuft und eigenständig auf den Gegner hopst? Wovon träumen die nachts?
    Noch effizienter, als seine Verantwortung auf diese Weise abzugeben, ist übrigens folgende Maßnahme: nicht lange fackeln und gleich den anderen die Schuld in die Schuhe schieben. So geschehen, als wir in Gruiten eingangs des Düsseltales an dem engen Brückchen stehen bleiben, um eine uns völlig unbekannte, Fahrrad fahrende Dame mit Labrador durchzulassen.
    Luna blinzelt in die Sonne und macht ausnahmsweise gar nichts. Ist ja ein Rüde. Der Labrador kriegt auf der Stelle einen Tobsuchtsanfall und zieht sein Frauchen vom Rad.
Diese zetert über den Bach: »Mein Robert merkt sofort, wenn ihm ein aggressiver Hund gegenübersteht. Dann reagiert er immer so wild.«
    Ist das nicht klasse? Zwei Sätze, fünf Sekunden – schon habe ich den Schwarzen Peter. Und ich Blödmann ziehe mir den Schuh auch noch an! Vielleicht hat Luna ja gar nicht harmlos geblinzelt, sondern provoziert?
    So kann das unmöglich weitergehen.
    Auf dem Heimweg überlege ich mir eine eigene Legende. Die werde ich ab jetzt jedes Mal an den Mann bringen, wenn sich Luna danebenbenimmt.
    »Wissen Sie, meine Hündin wurde als Welpe von einem
    • schwarzen
    • Hoover-
    • roten
    • Miele-
    • braunen
    • Vorwerk-
Staubsauger angegriffen und tut sich seither etwas schwer mit allen Lebewesen, die, äh, einatmen. Mit denen, die nur ausatmen, kommt sie prima klar.«
    Das funktioniert ausgezeichnet. In der Regel vergewissert sich mein Gegenüber besorgt, ob sein Hund noch einatmet, und nimmt ihn flugs auf den Arm.
    Wir sind, wie ich finde, auf einem guten Weg.

    Wahre Meisterschaft kommt natürlich mit dem Alter und zunehmender Erfahrung. Gelegentlich begegnen uns Spaziergänger, die ihre Legendentechnik in jahrzehntelanger Detailarbeit perfektioniert haben. Hund und Halter eine geschmiedete Einheit aus Boshaftigkeit und Schuldzuweisung. Von diesen Genies lerne ich gern. Ich höre genau zu und präge mir jedes Wort ein.

    Zu den unangefochtenen Champions in dieser Disziplin zählt ein Rentnerehepaar, das mit seinem betagten Spaniel regelmäßig im Hildener Stadtwald unterwegs ist. Ich schätze das Gesamtalter des Trios auf dreihundertneun. Sie nähern sich in Keilformation. Die Spazierstöcke trommeln drohend auf den Waldboden, die Augen in den wettergegerbten, faltigen Gesichtern sind zu entschlossenen Schlitzen verengt. Luna und ich tun das, was wir immer tun, wenn wir Gegenverkehr haben. Wir legen uns ins Platz und warten, bis die anderen vorbei sind.
    Trotz seiner besorgniserregenden Klapprigkeit lässt der Spaniel es sich nicht nehmen, knurrend und kläffend an Luna vorbeizutrotteln. Die guckt hin und möppert nur einmal kurz. Für ihre Verhältnisse ein ganz hervorragendes soziales Verhalten. Trotzdem kriegen wir von den Alten eine Abreibung: »Hallo, Sie! Unser Spaniel ist fünfzehn Jahre alt. Er ist blind, taub und hat drei Sorten Krebs. Wenn Ihr Hund sozial kompetent wäre, würde er das spüren und nicht so ein Theater machen!«
    Ich bin sprachlos.
    Was soll ich auch sagen? Meine Hündin ist sozial so kompetent, dass sie Ihrem Spaniel gleich Sterbehilfe gibt? Das wäre doch unhöflich gewesen.
    Das Rentnergeschwader tapert weiter. Ich komme ins Grübeln. Vielleicht ist die Staubsaugerlegende doch nicht effizient genug? Vielleicht sollte ich mir lieber Legenden mit Seniorengebrechen zurechtlegen? Oder mit irgendwelchen Syndromen, die mit dramatischen Abkürzungen beeindrucken?
    Zu Hause im Büro ziehe ich den Pschyrembel aus dem Bücherregal.
    Er rät zu ADHS. Ich nehme dankend an.

    Mein Hund hat ADHS!
    Warum eigentlich nicht? So ein gepflegtes Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätssyndrom erleichtert das Leben ungemein. Ich muss mir weder einen Kopf um Erziehung noch um hundgerechten Zeitvertreib machen. Mit diesen vier Buchstaben lässt sich bestimmt alles erklären. Vor allem, dass die anderen immer schuld sind.
    Ich murmle probeweise ein paar Legenden vor mich hin.
    »Sie hat ADHS, wissen Sie. Wenn ein Schub kommt, dann hört sie

Weitere Kostenlose Bücher