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Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Tamm
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Ratschlag und sehe mich einem jungen Mann gegenüber, der offenbar sein gesamtes bisheriges Leben an der Langhantel verbracht hat. Er sieht aus wie eine von diesen lustigen Luftballonfiguren, die man auf irgendwelchen Veranstaltungen gebastelt bekommt, nur dass seine Rundungen eben nicht mit Luft, sondern mit Muskeln gefüllt sind.
»Schlage vor, dass du Leine ziehst, alter Mann. Sonst falte ich dich zusammen und schicke dich mit der Post nach Hause«, sagt er zu mir.
    »Spar dir die Mühe. Und das Porto auch. Ich gehe lieber freiwillig.«
     
    23:26 Uhr: Die Versuche vier und fünf sind kaum der Erwähnung wert, da sie alle mehr oder weniger gleich ablaufen. Ich zeige mich von der charmanten Seite, die Frauen zeigen mir die kalte Schulter. Bin ich wirklich so sehr außer Übung, dass mir nicht einmal mehr ein einfacher Flirt gelingt? Oder mache ich irgendetwas falsch?
     
    23:55 Uhr: Versuch Nummer sechs. Sie heißt Carmen und lässt sich immerhin von mir eine Portion Sushi von einem der Catering-Zelte besorgen. Anbeißen tut sie dennoch nicht. Jedenfalls nicht bei mir. Sie nimmt mir den Teller mit den Avocado-Thunfisch-Maki aus der Hand, hakt sich bei ihrem Begleiter ein, der aus dem Nichts aufgetaucht ist (natürlich wieder so ein Waffenhändler-Kavalier, wieder vierzig Jahre älter als sie, wieder millionenschwer) und sagt zu ihm: »Schatz, würdest du dem jungen Mann ein Trinkgeld geben. Er war so lieb, mich zu bedienen.«
     
    0:12 Uhr: Bin zehn Euro reicher und trotzdem frustriert. Fühle mich wie Dirk Nowitzki, nur dass der Körbe wirft, während ich sie bekomme. Immerhin bin ich inzwischen so besoffen, dass mir das gar nichts ausmacht. Muss dringend meine Strategie überdenken, wenn ich das Ziel des Abends erreichen will.

     
    0:20 Uhr: Mache eine interessante Beobachtung. Alle Frauen, bei denen ich mein Glück versuche, ziehen so seltsam die Nase kraus, wenn ich neben ihnen stehe. Sie scheinen mich nicht anzusehen, sondern an mir zu schnuppern. Benehmen sich also wirklich seltsam, wie Hasen, die Bunnys. Am Anfang denke ich noch, dass es an mir liegt. Habe ich das falsche Deo aufgelegt? Riecht mein Anzug vielleicht nach Mottenkugeln? Habe ich eine Champagnerfahne mit Unternoten von Martini, Kölsch und Gin Tonic? Dann geht mir ein Licht auf. Die Frauen schnuppern nach dem Geruch des Geldes. Und bei mir schlägt ihr Riechorgan nicht an. Bin eben nicht stinkreich. Darum bekomme ich eine Abfuhr nach der anderen. Ich passe einfach nicht in ihr Beuteschema. Jedenfalls nicht hier.
    Und wisst ihr was? Es macht mir nicht einmal wirklich etwas aus. Weil das hier einfach nicht meine Welt ist. Ich wusste es ja schon vorher. Habe es wegen der Sache mit Katja und wegen Andys Plan einfach nur vergessen.
     
    0:34 Uhr: Kehre zur Brazil-Bar zurück, an der es inzwischen leerer geworden ist, setze mich auf einen der Hocker und muntere mich mit einem Cachaca auf, diesem Zuckerrohrschnaps, aus dem man Caipirinha mixt. Unterhalte mich dabei mit dem Barkeeper - der Typ mit dem Marmorkörper und der Gummitaille -, der sich aber als netter Typ herausstellt. So vergeht eine Stunde, und ich überlege schon, nach Hause zu fahren. Aber dann stelle ich überrascht fest, dass ich vielleicht doch mehr Talent im Basketball habe, als ich dachte. Auf einmal steht die rothaarige Chinakleid-Frau neben mir und sagt mit einer Stimme, die ebenfalls auf jede Menge
Drinks hindeutet: »Tut mir leid wegen der Abfuhr vorhin. War einfach der falsche Zeitpunkt.«
    »Sie meinen, weil die Pinguine Sie in Beschlag genommen hatten?«
    Sie lacht und ich merke, dass sie sogar noch mehr Umdrehungen im Blut hat als ich auf den ersten Blick dachte. Wenn ich nichts unternehme, macht sie gleich einen Abgang in Richtung Boden.
    Bevor es so weit kommt, nehme ich sie vorsichtig am Arm und platziere sie auf dem Barhocker neben mir.
    »Ich glaube, Sie sollten lieber nach Hause gehen. Oder wenigstens einen Kaffee trinken.«
    »Will nicht nach Hause. Will auch keinen Kaffee.«
    »Was wollen Sie dann?«
    »Weiß nicht. Was zu trinken.«
    Der Barkeeper sieht mich an und schüttelt dezent den Kopf, was heißen soll, dass er der Rothaarigen nichts mehr ausschenken möchte. Sie sieht es und sagt auf einmal mit einer Stimme, die gar nicht mehr betrunken, sondern eher bedrohlich klingt: »Los, ihr Penner. Ich will was zu trinken. Oder … oder … ich weiß auch nicht. Aber mach schnell.«
    Der Barkeeper zuckt mit den Schultern. Ich zucke mit den Schultern, dann stellt er

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