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Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Tamm
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zwei frische Gläser vor uns und schenkt ein. Claudia, so heißt die Rothaarige, will nicht nur trinken, sondern in erster Linie reden. Und ich muss zuhören, was mir mit jedem Drink, den der Barmann vor uns hinstellt, schwerer fällt. Aber ich gebe mir Mühe - zumal mir Claudia sympathisch ist.
    Ihre Story läuft darauf hinaus, dass sie Ärger mit ihrem Freund hat, weil der alles Mögliche wichtiger findet als sie:
seinen Golfnachmittag, sein Rennpferd, seinen Sportwagen, seine Firma. Während ich ihr zuhöre, frage ich mich, ob eigentlich auch Frauen zu besoffen für Sex sein können. Ich habe nie darüber nachgedacht. Katja hat ja nie viel getrunken. Am besten ist es, ich frage Claudia einfach mal danach. Sie sieht mich an, lacht, lässt sich ihr Glas erneut vollmachen, stürzt es in einem Schwung in sich hinein und sagt: »Ist eher umgekehrt. Frauen können zu nüchtern sein für Sex. Ich zum Beispiel.«
    »Dann trink doch noch etwas.«
    »Ist das eine Anmache?«
    »Wäre das so schlimm?«
    »Nee. Gar nicht.« Sie schwankt vor und zurück und kommt meinem Gesicht dabei gefährlich nah. »Nicht schlimm. Aber du musst damit rechnen, dass mein Freund uns sieht und dich dann erschießt. Er ist sehr eifersüchtig.«
    »Dann gehen wir doch einfach weg von hier. Irgendwohin, wo wir in Sicherheit sind.«
    Ihr Schwanken hört auf, und zwar in der Position, in der unsere Gesichter sich fast berühren. Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, dass der Barkeeper grinsend den Daumen hebt. Will die Chance natürlich nicht ungenutzt verstreichen lassen und gerade mit Claudia loslegen, als eine Männerstimme die Umgebungstemperatur mal eben auf den Gefrierpunkt absenkt. Es ist ihr Silberrückenfreund, der Smoking-Greis mit dem Rennpferd, der mich vorhin schon dumm angemacht hat. Jetzt aber beachtet er mich nicht einmal. Er drängt sich zwischen Claudia und mich an die Bar, packt sie an den Oberarmen und schüttelt sie wie ein griechischer Bauer seinen Olivenbaum. »Du bist ja total besoffen, Claudi.
Und das vor den ganzen Leuten. Gott, was ist nur los mir dir?!«
    »Nichts ist los mit mir. Gar nichts. Es ist mein Recht - hicks - besoffen zu sein.«
    »Nicht, wenn du mich damit blamierst. Los, wir gehen. Komm schon, steh auf.« Daraufhin greift er nach ihr und will sie mit sich ziehen. Ich wiederum greife nach ihm und ziehe ebenfalls. Dabei sehe ich den Typen an, wobei ich Probleme habe, meinen zuckerrohrschnapsgesättigten Blick zu fixieren. Zu viel Geld, zu wenig Charakter - ich hasse solche Typen. »Lassen Sie die Frau in Ruhe.«
    Er beachtet mich gar nicht, sondern zerrt weiter an Claudia. Die klammert sich an die Theke - sowohl damit er sie nicht fortzerren kann, als auch um nicht von selbst vom Hocker zu fallen.
    »Na los, Kindchen. Jetzt sei nicht albern«, herrscht er sie an.
    »Red nicht so mit mir.«
    »Dann benimm dich nicht so.«
    »Alles in Ordnung?«, frage ich sie. »Ist das der Typ, der mich erschießen wird?«
    »Keine Sorge. Ist ja nichts passiert. Noch nicht.«
    Dann beugt sie sich nach vorne, um mich in den sicheren Tod zu schicken. Durch einen Kuss. Aber so weit kommt es doch nicht, denn als unsere Lippen sich fast berühren, zerrt der Rennpferd-Opa sie mit einer heftigen Bewegung von mir weg und murmelt dabei sogar noch so etwas wie: »Entschuldigen Sie bitte, sie ist betrunken.«
    »Es gibt nichts zu entschuldigen. Sie ist großartig«, antworte ich. Er bleibt stehen, sieht mich irritiert an und merkt wohl erst jetzt, dass wir schon vorhin das Vergnügen miteinander
hatten. Für einen kurzen Moment scheint er sogar zu überlegen, seine Entschuldigung von gerade eben zurückzunehmen und durch eine Kampfansage zu ersetzen. Dann aber schüttelt er den Kopf, packt Claudia noch fester und zieht endgültig mit ihr ab. Ich blicke den beiden nach und denke, dass sie nicht wie Mann und Frau wirken, sondern eher wie ein selbstzufriedener Rentner, der seinen renitenten Dackel hinter sich herschleift.

9. Tag: Sonntag
    Nachmittag: Es gelingt mir aufzustehen, obwohl ich mich immer noch fühle wie in Vollnarkose. Ich hieve mich vom Bett unter die Dusche und lasse mir lauwarmes Wasser über den Kopf rinnen. Tut unglaublich gut. Es lässt mich sogar für kurze Zeit vergessen, dass mein Körper gerade eine einzige Beerdigungszeremonie ist, weil sich die wenigen überlebenden Gehirnzellen von ihren ganzen toten Geschwistern verabschieden.
    Während ich mich mit einem großen Frotteehandtuch trockenrubbele, versuche ich mich an

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