Herrengedeck
Security-Gorillas dezent über die Schulter sehen.
Wir reihen uns in der Schlange hinter einem Paar ein, das leise vor sich hinstreitet. Er ist der Typ graumelierter Endfünfziger, der vermutlich mit Waffen, verbotenen Chemikalien oder Plutonium handelt. Sie ist Mitte zwanzig, trägt Sommerkleidchen mit Pelzbesatz und schert sich einen Dreck darum, womit er seine Kohle macht. Solange sie etwas davon abbekommt. Wenn ich es richtig mitbekomme, geht es in dem Streit darum, dass er erwogen hat, nicht seine Begleiterin, sondern seine Ehefrau mit zu der Party zu nehmen, weswegen sie ihm jetzt eine Eifersuchtsszene macht.
Bin das beste Beispiel dafür, dass wir wirklich in einer Neidgesellschaft leben. Bin nämlich ausgesprochen neidisch auf die Probleme, die dieser Typ hat.
21:23 Uhr: Nachdem wir die Villa durchquert und den großzügigen Garten des Anwesens betreten haben, mischen wir uns unter die Gäste. Die stehen in Trauben zusammen,
schlürfen Cocktails, bedienen sich an den Cateringzelten und plaudern munter über Aktienkurse, Strände auf Barbados und die Entwicklung der Immobilienpreise in Dubai.
Andy verliere ich schon nach ein paar Minuten. Wenn ich es richtig beobachtet habe, ist er mit der Frau des Gastgebers im ersten Stock der Villa verschwunden. Und das bestimmt nicht, weil er sich von ihr eine Sammlung chinesischer Vasen zeigen lassen möchte. Hoffe nur, dass er nicht auch Probleme bekommt, auf die ich dann neidisch sein könnte.
21:58 Uhr: Beschließe, mir einfach eigene Probleme einzuhandeln. Nicht weit entfernt mache ich eine groß gewachsene, üppige Rothaarige um die dreißig aus, die in einem verboten engen Chinakleid steckt. Sie hat mehr Sommersprossen im Gesicht als Pippi Langstrumpf und dazu Grübchen, aus denen ich genauso gerne Schöfferhofer Weizen trinken würde wie aus ihrem Bauchnabel. Sie steht in einer Gruppe wichtigtuerischer Smoking-Typen, die sich eifrig darum bemühen, sie bei Laune zu halten. Beflügelt von den ganzen Drinks, die ich mir als Erstes genehmigt habe, denke ich nicht lange über eine Strategie nach. Ich gehe zu ihr hin, tippe ihr auf die Schulter und probiere es mit einem Klassiker: »Na, ganz alleine hier?«
Sie sieht mich an, als wäre ich Rainman oder irgendein anderer mitleiderregender Autist mit Schildern um den Hals, auf denen Bilder von Papa, Mama und meinem Zuhause sind. Dann lacht sie und macht eine Präsentationsgeste in Richtung der Gruppe, in der sie steht. »Ob ich alleine bin? Nicht ganz. Wenn Sie mal gucken möchten: Das ist mein Freund, das ist eine gute Bekannte, das ist der Bruder des Gastgebers, und die übrigen Herrschaften sind ebenfalls anregende
und sympathische Gesprächspartner. Ihnen kann ich daher nur empfehlen, zum Optiker oder wahlweise zu einem Flirtberater zu gehen. Auf Wiedersehen.«
K. o. in der ersten Runde. Oder auch nicht. In ihren Augen entdecke ich ein schwaches Glimmen, das nicht so ganz zu ihren Worten passt. Und das sie krampfhaft zu verbergen versucht. Gut möglich also, dass sie die ganzen Jungs mit ihren blasierten Gesichtern gar nicht so sympathisch findet, wie sie tut.
»Aber nein, ich muss nicht zum Optiker«, erwidere ich. »Ich habe genau gesehen, dass Sie in Wahrheit keine Lust haben, weiter hier herumzustehen und über Wirtschaftspolitik zu reden. Oder über Aktienkurse. Oder über die Warenterminbörse in Chicago. Glauben Sie mir, es würde mehr Spaß machen, mit mir zusammen zum Cocktail-Zelt zu gehen und einen Drink zu nehmen.«
Sie lacht, aber so leise, dass die Typen in ihrer Gruppe es nicht mitbekommen. Dann schüttelt sie den Kopf und sagt mit lauter Stimme: »Vergessen Sie’s. Außerdem fangen Sie gerade an, mir auf die Nerven zu gehen. Das brauche ich nicht. Und schon gar keinen Mann, der nicht einmal genug Manieren hat, um sich vorzustellen. Trotzdem hoffe ich, dass Sie sich noch gut amüsieren. Und tschüss.«
Okay, diesmal bin ich wirklich angezählt. Aber auf den Brettern liege ich immer noch nicht, denn eigentlich könnte ich ihre Worte auch als Aufforderung verstehen weiterzubohren. Nicht, dass ich grundsätzlich glaube, dass Frauen Ja meinen, wenn sie Nein sagen. Aber sie hat schließlich nicht explizit Nein gesagt. »Das tut mir natürlich leid und Sie haben vollkommen Recht«, sage ich. »Ich heiße Stefan Trautmann,
bin Immobilienmakler, und eigentlich habe ich auf einer Party wie dieser nichts verloren. Aber zufällig bin ich derjenige, der Albrecht Sonnenheim seine Wohnung besorgt
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