Herrengedeck
die Laune ist bestens. Die ganze Szenerie kommt mir vor, als würde hier gerade ein Werbespot für Raffaello gedreht, dieser schokoladelosen Schokoladenpraline, die so leicht ist, dass sie einem glatt vom Teller fliegen könnte.
Eine Mitarbeiterin der Dating-Agentur, die Diana heißt, begrüßt uns mit Handschlag. Dann geht sie voran in einen Nebenraum des Lokals. Zwölf Leute sind schon da, sieben Frauen und fünf Männer. Das Licht ist gedämpft. Überall flackern Kerzen und in der Luft wabert ein Hauch Lavendelaroma, der wohl von einem verborgenen Duftbäumchen stammt.
Andy und ich setzen uns, und bevor es losgeht, erklärt Diana uns die Spielregeln. »Liebe Freunde, ihr seid jetzt komplett und mir bleibt nichts anderes, als euch einen wunderschönen Abend zu wünschen. Ihr habt jeweils sieben Minuten miteinander. Wenn ihr die Glocke hört, rutschen die Herren bitte einen Platz nach rechts, während die Damen sitzen bleiben. Zwischendurch habt ihr jeweils ein paar Minuten Zeit für den Bewertungsbogen. Also, viel Spaß. Und denkt dran: Nur die Liebe zählt !«
Andy und ich wechseln einen letzten Blick wie zwei Formel-1-Piloten, die gemeinsam vorne an der Poleposition stehen und ungeduldig ihr Gaspedal durchdrücken. Die nächsten zwei Stunden werden rasant. Bin gespannt, wer als Erster durch die Ziellinie rauschen wird.
1. Sie heißt Susanne, ist zweiunddreißig Jahre alt und ungefähr so amüsant wie die »Tagesschau«. Sie trägt eine cremefarbene
Bluse mit einer Perlenkette darüber, und es überrascht mich überhaupt nicht, dass sie Bankerin ist. Sie sieht mich an, als wäre sie eine Kunstsachverständige und ich ein mit Wasserfarben und Kugelschreiber gefälschter Picasso. »Hast du ein Ernährungsproblem, oder so? Ich verstehe gar nicht, warum sie uns gematcht haben. Ich habe doch im Fragebogen ausdrücklich sportlich angekreuzt.«
»Und ich charaktervoll und sensibel. «
Statt zu antworten, guckt sie zur Seite. Ich genauso. Die Paare um uns herum plaudern angeregt miteinander und tauschen die üblichen Informationen über Hobbys, Reiseziele, Lieblingsbands und Lieblingsfernsehserien aus.
2. Martina ist eine hübsche Mittdreißigerin, deren Lächeln hinreißend ist. Ich nehme mir fest vor, mir dieses Mal mehr Mühe zu geben. Ich will gerade mit einem freundlichen Intro beginnen, als sie mir zuvorkommt: »Das ist das dritte Mal, dass ich bei so einer Veranstaltung mitmache. Bisher hatte ich immer Pech, aber heute spüre ich ganz deutlich, dass ich den richtigen Mann kennenlernen werde. Ich meine, kennst du das, wenn man so eine Vorahnung hat? Meine Mutter meint, dass ich das zweite Gesicht habe, weil ich ab und zu Dinge vorher weiß, die dann hinterher gar nicht passieren. Ich habe das beim letzten Dinner vor zwei Wochen einem Mann erzählt, der hieß Rainer. Ein total netter Typ, aber auch still. Seine Schwingungen waren echt irre. Das Wichtigste ist doch, dass man sich auf einer Astralebene versteht. Man muss zu dem anderen dieses Gefühl der Harmonie von Yin und Yang haben. Das ist chinesisch und total weise, finde ich. Bei dir habe ich ein gutes Gefühl, du, wirklich ein ganz gutes
Gefühl. Du kriegst auf jeden Fall ein Ja auf dem Bewertungszettel, weil ich es total schön fände, wenn wir uns wiedersehen. Wie heißt du nochmal?«
»Stefan.«
»Schön, Stefan. Sehr, sehr schön.«
3. Viola ist eine arbeitslose Schauspielerin, die sich mit einem Job in einem Callcenter über Wasser hält. »Ganz schön anstrengend, der Job. Aber gut bezahlt«, erklärt sie mir.
»Inbound oder Outbound?«, frage ich sie. »Ich meine, musst du was verkaufen? Oder sitzt du an so einer Infohotline, um blöde Fragen zu beantworten?«
»Inbound.«
»Ich stelle es mir ätzend vor, den ganzen Tag zu reden.«
»Muss ich ja nicht. Ab und zu kann ich auch stöhnen.«
Ich sehe sie fragend an. Sie lächelt verschmitzt.
»Meinen wir gerade dasselbe?« frage ich.
»Vermutlich schon. Vielleicht kennen wir uns ja vom Telefon?«
Ich muss lachen und weiß, dass sie mir gefällt. »Tut mir leid. Erstens kommt mir deine Stimme nicht bekannt vor. Und zweitens habe ich bei der Sorte Hotline noch nie angerufen.«
Das ist nicht gelogen. Ich sehe mir nachts zwar stundenlang die Werbung für die ganzen geilen Studentinnen, die scharfen Hausfrauen und die willigen Luder an, die am anderen Ende ihrer 0900-Nummer nur darauf warten, von mir beim Sex belauscht zu werden. Aber angerufen habe ich nie. »Ist das nicht total
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