Herrengedeck
Trautmann. Ich habe auf Sie gewartet.«
»Hier? In der Küche?«
»Man sagte mir, dass Sie hier am zuverlässigsten anzutreffen sind.«
»Na schön. Worum geht’s?«
»Trinken Sie erst mal einen Kaffee. Und dann sprechen wir ein wenig über Ihre Zukunft in unserer Firma.« Er grinst dabei wie ein ausgehungerter Piranha, und mir ist klar, dass meine Zukunft hier eher eine Vergangenheit sein wird. Aber das ist mir egal. Wenn ich schon meine Freundin verloren habe, kann ich genauso gut auch meinen Job verlieren. Ich werde es überleben.
12:01 Uhr: Habe erstaunlicherweise immer noch meinen Job. Der Piranha hat nicht zugebissen. Ehrlichkeit zahlt sich eben doch aus. Als Gabriel vorhin dazu ansetzen wollte, mit mir Origami zu spielen, sprich mich nach allen Regeln der Kunst zusammenzufalten, habe ich ihm einfach von der Sache mit Katja erzählt. Und dass mein Leben seitdem so aussieht wie eine der Wohnungen, die er so gerne vermietet.
Meine Offenbarung hatte eine erstaunliche Wirkung. Gabriel entschuldigte sich kurz und kam kurz darauf mit einer Flasche Cognac zurück, die er in seinem Schreibtisch deponiert hatte. Er schloss die Küchentür ab, zog seine Krawatte auf Halbmast, schenkte uns beiden zwei Kaffeetassen mit Rémy Martin voll und sagte: »Das habe ich natürlich nicht gewusst, Trautmann. Tut mir leid zu hören.«
Ich winkte ab. »Halb so wild. Ich arbeite hart daran, die Dinge wieder geradezurücken. Und ich bin mir ganz sicher, dass mir das gelingen wird.«
»Ach ja? Und was genau haben Sie vor?«
Gabriels plötzliches Interesse an meinem Privatleben erstaunte mich natürlich. Genauso wie die Tatsache, dass er sich inzwischen den dritten Cognac eingeschenkt hatte und mir mit eindeutigen Gesten zu verstehen gab, dass ich mithalten sollte. Und das, obwohl es gerade erst Vormittag war. Dann lüftete er das Geheimnis und ich erfuhr, dass es meinem Chef genauso geht wie mir. Auch er ist gerade verlassen worden, allerdings nicht von seiner Ehefrau und auch nicht von seiner Freundin. Sondern von seiner Geliebten. Viel wollte er mir nicht über sie verraten, aber immerhin erfuhr ich, dass er seit fast zwei Jahren ein Verhältnis mit ihr gehabt hat und sie eine Kollegin von uns ist. Wer genau, wollte er mir nicht verraten. Aber es war mehr als deutlich, dass ihn die Geschichte reichlich mitnimmt. Am Ende sagte er zu mir: »Ich kann verdammt gut verstehen, was Sie gerade durchmachen, Trautmann. Kopf hoch. Und machen Sie sich keine Sorgen wegen Ihrer Abschlussquote. Das kriegen wir schon hin.«
Der Rest des Tages: Verbringe mehrere Stunden mit einer mathematischen Fragestellung. Es gibt vier Milliarden Frauen auf der Welt. Wie finde ich die eine, in die ich mich verlieben kann?
Gut, die große Zahl täuscht ein wenig. Ich muss noch die abziehen, die zu jung, zu alt oder zu weit weg sind. Oder die die falsche Haarfarbe haben. Aber dann bleiben immer noch genug übrig, bei denen es klappen könnte.
Das Problem ist bloß, dass ich einfach nicht genug Zeit habe, sie alle nacheinander auszuprobieren. Darum muss ich sie möglichst gleichzeitig treffen. Aber wie? Bespreche diesen Punkt mit Andy, und der meint, dass das kein Problem wäre. Er hätte da eine sehr gute Idee.
22. Tag: Samstag
11:45 Uhr: Liege noch im Bett, als das Telefon klingelt. »Ja? Trautmann?«
»Hallo, Stefan.«
Mein Puls beschleunigt von null auf zweihundert in einer Sekunde, meine Schweißdrüsen werden zu Geysiren und mein Unterbewusstsein macht sich bereit, im Falle einer Ohnmacht die wichtigsten Vitalfunktionen zu übernehmen. Katja. Ja, sie ist es wirklich. Kein Zweifel. Sie hat mich angerufen!
»Stefan? Alles in Ordnung?«
»Doch, doch … es ist nur … es ist verdammt schön, deine Stimme zu hören«, sage ich stammelnd. Die Tatsache, dass sie mich anruft, kann ja nur eines bedeuten: Sie hat es sich überlegt. Sie ist bereit, zu mir zurückzukehren! Hier ist die deutsche Lotto-Gesellschaft. Wir rufen an, um Sie darüber zu informieren, dass Sie den Jackpot geknackt haben. Einer unserer Mitarbeiter wird Sie in den nächsten Tagen aufsuchen und die Details besprechen. Dennoch raten wir Ihnen dringend dazu, keine vorschnellen Entscheidungen zu treffen und zum Beispiel Ihre Arbeitsstelle zu kündigen, Ihre Frau zu verlassen oder mit Ihrem Telefonanschluss zur Telekom zurückzukehren.
»… und darum möchte ich, dass du damit aufhörst«, beendet sie einen längeren Monolog, bei dem ich nicht wirklich zugehört
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