Herrengedeck
habe.
»Was? Womit aufhören? Entschuldige, Katja, ich war gerade in Gedanken und hab’s nicht so richtig mitbekommen.«
»Du sollst aufhören, in der Mittagspause drüben auf der anderen Straßenseite vor der Firma zu stehen. Glaub nicht, ich hätte dich nicht gesehen. Meine Kollegen tuscheln schon und einige wollen sogar schon die Polizei alarmieren.«
Gut nur, dass wir nicht skypen und sie mich womöglich auf einem Bildschirm sehen könnte. Denn dann wüsste sie, dass ich gerade eine Gesichtsfarbe wie ein sonnenverbrannter Mallorca-Tourist nach dem ersten Tag am Strand habe: rot. Sehr rot. Leuchtend rot. Weil sie leider Recht hat. Ich bin wirklich in der Nähe ihrer Firma gewesen und habe die Gelegenheit genutzt, um hinter einer Laterne stehend den Beginn ihrer Mittagspause abzuwarten. Und das nur, um sie einfach zu sehen. Aber es war doch mehr oder weniger Zufall! Nichts, wofür sie mir wirklich einen Vorwurf machen könnte. Schon gar nicht in einem Tonfall, als wäre ich ein gottverdammter Stalker. »Aber das war doch nur einmal, Katja. Und da bin ich wirklich nur zufällig vorbeigekommen und …«
»STEFAN! Es war nicht einmal. Du stehst mehr oder weniger jeden Tag dort drüben. Und das geht einfach nicht. Verstehen wir uns?« Hier ist noch einmal die Lotto-Gesellschaft. Es ist uns leider ein kleiner Fehler unterlaufen. Sie sind leider doch nicht der Gewinner. Ach, Sie sind schon aus dem Fenster gesprungen? Das tut uns jetzt aber leid … Natürlich hat sie Recht. Es war nicht nur einmal. Es war eigentlich immer. Jeden Tag. Wenn auch nicht ganz. Ab und zu war ich ja auch
mal mit Birgit essen oder hatte einen Termin. Aber an den anderen Tagen habe ich hinter der Laterne gestanden und sie beobachtet. Und es hat mich jeden Tag förmlich zerrissen. Weil es nun einmal keinen schöneren Anblick gibt als sie. Sie und ein frisch gegrilltes Fünfhundert-Gramm-Steak mit saftigem Fettrand.
»Tut mir leid. Es kommt nicht wieder vor«, sage ich kleinlaut.
Eine Weile schweigen wir beide in den Hörer. Auf keiner Beerdigung könnte die Stimmung düsterer sein als in diesen Sekunden. »Also gut, Schwamm drüber«, sagt sie dann. »Sehen wir uns nächste Woche auf der Hochzeit?«
»Klar sehen wir uns. Ist ja fest vereinbart. Ich freu mich schon drauf.«
12:03 Uhr: Aaaaaaaaaargh!
17:43 Uhr: Habe den Tag mit Essen verbracht. Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte, aber es ist seelische Notwehr.
19:42 Uhr: Andy holt mich zu Hause ab, um mir die Antwort auf die Vier-Milliarden-Frauen-Frage zu präsentieren. »Es ist alles eine Frage der Geschwindigkeit, Alter. Willst du viele Frauen treffen, kannst du dir für jede einzelne halt nicht so viel Zeit nehmen.«
»Speeddating?«, frage ich nur.
»Exakt.«
»Und du meinst, das funktioniert?«
»Klar. Vor allem, wenn man es eilig hat.«
Seine Zuversicht ist beeindruckend, auch weil sie total
unbegründet ist. Mich zum Speeddating zu schicken ist ungefähr so, als würde man eine Schildkröte beim Galopprennen antreten lassen. Andererseits: Man hat schon Pferde kotzen sehen.
Auf dem Weg erzähle ich ihm von dem Gespräch mit Katja, und dass sie nicht gerade nett war (wobei ich den Grund für ihre Vorwürfe verschweige). Andy macht eine wegwerfende Handbewegung. »Ist doch egal. Hauptsache, du lässt dich nicht irritieren.«
»Ich bin aber irritiert.«
»Du darfst jetzt nicht locker lassen, Alter! Du schwenkst gerade in die Zielgerade ein, hörst du?! Du musst jetzt am Ball bleiben.«
»Hast Recht, Andy.«
»Na siehst du.«
20:09 Uhr: Bis vor kurzem dachte ich bei Speed an den Film mit Keanu Reeves und Sandra Bullock, und bestimmt nicht an Rendezvous. Jetzt weiß ich, dass das ein Fehler war. Speeddating ist nämlich die praktischste Art, die richtige Frau kennenzulernen, wenn man eigentlich keine Zeit dazu hat.
Andy stellt den Wagen mitten im Parkverbot vor dem Lokal ab, in dem die Veranstaltung stattfinden soll. Angeblich hat er ausgerechnet, dass es wegen der hohen Benzinkosten billiger sei, gelegentlich ein Ticket zu bezahlen, als zu viel Sprit beim Parkplatzsuchen zu vergeuden. Das Soho’s ist ein In-Lokal, das sich mit euroasiatischer Fusionsküche einen Namen gemacht hat. Als wir reingehen, ist es schon gut gefüllt. Die Männer tragen helle Anzüge oder Hemden mit Stehkragen, die Frauen stecken in luftigen Sommerkleidern
und haben dezentes Make-up aufgetragen. Es riecht nach Parfum und nach exotischem Essen, die Gespräche klingen entspannt,
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