Herrengedeck
spielen.«
Wir drängeln zielstrebig in Richtung Büffet, das zehn Meter lang und einfach köstlich ist. Während ich meinen Teller mit Essen volllade, klopft mir jemand ungeduldig von hinten auf die Schulter. »Hey, Sie! Ich kann gar nichts sehen. Jetzt machen Sie sich mal nicht so breit …«
»Wenn Sie wollen, nehme ich Sie auf die Schultern«, sage ich, noch bevor ich mich umdrehe. Katja!
16:41 Uhr: Vier Wochen lang habe ich auf diesen Augenblick hingelebt. Vier Wochen lang hab ich daran gearbeitet, weil ich wusste, dass diese Sekunden über meine Zukunft entscheiden. Jetzt ist es also so weit.
»Hallo Katja, schön dich zu sehen.«
»Ja, das ist es. Du siehst anders aus … sehr anders.« Sie sieht mich seltsam irritiert an.
»Du meinst das hier?«, frage ich und tippe mir mit dem Zeigefinger auf mein blankrasiertes Kinn.
»Ja, auch. Aber ich meine eigentlich alles. Nicht nur das, was man sieht. Stimmt es, dass du mit einem Porsche gekommen bist?
»Ja, wieso?«
»Na ja, weil … wie gesagt: Es ist anders.«
»Gefällt’s dir?«
»Ich weiß nicht. Ich muss mich erst dran gewöhnen, glaube ich. Aber ich finde es irre, wie man sich in wenigen Wochen verändern kann …«
Wir wissen beide, dass diese Worte mehr zu bedeuten haben, als dass ich ein neues Auto fahre und sie ein neues Parfum trägt. Denn das tut sie. Und wenn meine Nase mich nicht täuscht, ist es ziemlich teuer. Bestimmt ein Geschenk von diesem Raimund.
Ich mache einen großen Schritt und ziehe Claudia, die etwas entfernt am Büffet steht und uns mit seltsamen Blicken beobachtet, an mich heran. Zu Katja sage ich: »Das ist übrigens Claudia. Sie ist mit mir hier.«
Für einen kurzen Augenblick zerwabert Katjas Gesichtsausdruck. Sie starrt Claudia an und ringt um Fassung. Die beiden Frauen geben sich die Hand, und ich vermute, dass in
der gleichen Sekunde ein paar Klimaexperten einen historisch einmaligen Temperaturabfall in der Innenstadt von Köln registrieren.
Ich dagegen bemühe mich darum, die Temperatur wieder über den Gefrierpunkt zu heben. Darum frage ich mit einem möglichst unbeschwerten Lächeln: »Wo ist eigentlich Raimund? Ich dachte, ich lerne ihn heute mal richtig kennen.«
»Raimund?«, fragt Katja leise zurück. Dann schüttelt sie sachte den Kopf und sagt: »Es gibt keinen Raimund mehr, Stefan. Jedenfalls nicht in meinem Leben.«
16:49 Uhr: Ungefähr dreiundzwanzig Dinge passieren in diesen Sekunden gleichzeitig. Und es ist ausnahmsweise nicht das Schlimmste, dass ich meinen Teller mit den ganzen Köstlichkeiten vom Büffet fallen lasse.
Ich bekomme zum Beispiel gerade einen Herzinfarkt. Fühlt sich jedenfalls so an. Weil sich alles, wirklich alles, was ein Arzt bei mir als Innerei bezeichnen würde, zusammenkrampft. Eben auch mein Herz.
Katja wiederum hat ein seltsames Lächeln auf dem Gesicht, eine Mischung aus Stolz, Freude, auch Verletzlichkeit. Ich habe das lange nicht mehr bei ihr gesehen, und ganz bestimmt nicht in den zurückliegenden Monaten. Ich bin mir nicht ganz sicher, was es bei mir auslöst, aber bevor ich darüber nachdenken kann, hakt sie sich bei mir unter und zieht mich ein Stück mit sich fort. Gleichzeitig sehe ich, wie Claudia mich aus eng zusammengekniffenen Augen ansieht und dann kopfschüttelnd aus dem Raum stürmt. Sie hat vermutlich die richtigen Schlüsse aus dem gezogen, was sie gerade mit ansehen musste.
Katja blickt ihr nach, will etwas sagen, schweigt dann aber doch. Ich bin ihr dafür dankbar. Weil ich gar nicht reagieren könnte. Ich fühle mich wie ein Flipperautomat, an dem ein Spieler zu stark gerüttelt hat. Tilt. Alle Sicherungen sind durchgebrannt. Nichts geht mehr. »Ich brauch’nen Schnaps, Katja.«
»Gute Idee. Lass uns anstoßen. Auf uns zum Beispiel, Bär. Was meinst du?«
17:02 Uhr: Noch bevor wir die Bar mit den Spirituosen erreichen, kommt Andy auf uns zu. Er checkt die Situation ab, drückt Katja einen Begrüßungskuss auf die Wange und sagt: »Wie schön dich zu sehen, Katja. Ehrlich. Ich muss Stefan mal eben entführen, aber du bekommst ihn in ein paar Sekunden zurück.«
»Das will ich auch hoffen. Ist nämlich nur geliehen und nicht geschenkt, der Mann. Ich musste lang genug auf ihn verzichten.«
»Es war deine Entscheidung«, sage ich, denn ich kann es ihr nicht durchgehen lassen, dass sie jetzt schon, fünf Minuten nach unserem Wiedersehen, damit anfängt, die ganze Geschichte komplett umzudichten.
»Aber so ganz unschuldig warst du auch
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