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Herrengedeck

Herrengedeck

Titel: Herrengedeck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Tamm
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nicht daran«, sagt Katja sofort.
    Bevor ich etwas sagen kann, packt Andy mich und zieht mich mit sich fort. »Ist besser so«, murmelt er. Ich kann ihm nicht widersprechen.
     
    17:08 Uhr: Andy schubst mich unsanft durch die Klotür ins Männerpissoir. Dort gibt er mir erst einmal ein paar sanfte
Ohrfeigen, um mich aus meiner Trance zu wecken. »Wach auf, Alter. Du hast keine Zeit zum Träumen.«
    »Andy! Sag mir, was hier gerade passiert.«
    »Wenn du Vollpfosten dein Handy anmachen würdest, wüsstest du das längst. Habe dich in den zurückliegenden vierundzwanzig Stunden ungefähr dreitausendmal versucht anzurufen. Die News macht seit gestern Abend die Runde. Bernd wusste es als Erstes, und zwar von Ulrike, die es wiederum von Melanie weiß. Und die weiß es aus erster Hand von Katja. Es ist aus mit Raimund. Seit drei Tagen schon. Katja hat es in alle Welt posaunt, dass sie die Hochzeit nutzen will, um sich mit dir zu versöhnen. Und du wandelnde Flaschensammlung tauchst hier mit einer anderen Frau auf! Gott! Wie bescheuert bist du eigentlich, Alter?! Ich hoffe nur, dass sie es dir nicht so übelnimmt und gleich wieder Schluss macht.«
    Ich rutsche an der Klowand zu Boden, als wäre ich angeschossen worden. In meinem Kopf herrscht ein totales Durcheinander. »Was soll ich tun?«, frage ich leise.
    »Geh raus und nutz die Chance, Alter. Mach einen auf großes Herz. Tu so, als wenn du drüberstehst. Verzeih Katja, spiel die Sache mit Claudia runter - und werde endlich wieder der glückliche Typ, als den wir dich sehen wollen. Alles Roger?«
    Ich nicke schwach. »Alles klar. Dann mache ich es so.«
    »Geht das auch mit etwas mehr Begeisterung? Immerhin bekommst du gerade den Hauptgewinn, von dem du die ganze Zeit geträumt hast, Alter. Also los, mach schon.«
    Andy zieht mich auf die Beine. Ich nicke und bemühe mich um ein zuversichtliches Lächeln. Aber wie ein Hauptgewinner fühle ich mich trotzdem nicht.

     
    17:35 Uhr: Sitze mit Katja an einem Tisch in einem der kleinen Nebenräume des Lokals. Wir sind ganz alleine. Durch das Fenster hören wir den Lärm der Party, aber hier drinnen ist es seltsam still. Ich picke gelegentlich etwas von dem Teller, den ich noch schnell am Büffet ergattert habe. Katja beobachtet mich und lächelt mit zusammengepressten Lippen. Aber sie sagt nichts. Keine Ermahnung, keine Weisheiten in Sachen Ernährung. Nicht einmal einen Kommentar, von wegen dass sie in einer solchen Situation nicht einen Bissen runterkriegen würde. Worauf ich dann antworten würde, dass ich leider in jeder Situation einen Bissen runterbekomme.
    Ich weiß natürlich, dass ihre Zurückhaltung kein Zufall ist. Uns ist beiden klar, was das hier bedeutet. Allein die Tatsache, dass wir jetzt hier voreinandersitzen, hätte sich keiner von uns noch vor einer Stunde auch nur vorstellen können.
    Nach und nach findet Katja ihre Sprache wieder, und es kommt mir fast vor wie bei einem Staudamm, der birst. Erst tropfen nur einzelne Wörter aus ihr heraus, dann werden es ganze Sätze, schließlich lange Wortkaskaden, bis sich am Ende eine ganze Flutwelle an Erklärungen, Entschuldigungen, Beichten über mich ergießt.
    Ausnahmsweise höre ich das alles ausgesprochen gerne. Insbesondere die Passagen, in denen Katja mir versichert, wie unendlich leid ihr alles tut. Und was für eine dumme Schlampe sie war. Dass sie wie von Sinnen war. Und dass sie am liebsten alles ungeschehen machen würde. Aber sie wisse halt, dass das nicht geht. Und dass sie es dafür aber wiedergutmachen würde, und zwar gleich zehnfach oder hundertfach oder tausendfach. Denn sie wünsche sich nur eine Sache wirklich
von ganzem Herzen: dass ich ihr verzeihe. Und dass alles wieder gut wird.
    »Aber was genau ist denn gut?«, frage ich vorsichtig.
    »Gut ist, wenn es wieder so wird wie früher.«
    »Wann früher?«
    »Bevor das alles passiert ist. Bevor ich auf Raimund reingefallen bin. Bevor ich so dumm war zu gehen …«
    Wir sehen uns in die Augen, und ich bin selbst überrascht, wie groß die Entfernung ist, die sich in den vergangenen vier Wochen zwischen uns aufgetan hat. Denn vorher, bevor Katja gegangen war, war sie für mich so selbstverständlich wie die Luft zum atmen. Und vermutlich auch genauso wichtig. Aber jetzt?
    »Ich denke, wir werden eine Weile brauchen, bis es wieder so wird wie früher«, sage ich leise. Es überrascht mich selbst, aber ich meine es ehrlich. Ich will sie bestimmt nicht verletzen, und ich will es ihr nicht schwerer

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