Herrengedeck
Außerdem tragen sie glitzernde Porno-Fummel, die mehr zeigen als verdecken. Bea stellt mich allen möglichen Stellas und Jennys und Tyras vor, und da sie gemocht wird, werde ich auch gemocht. Alle sind nett zu mir, und bald weiß ich auch, woran es liegt. Da niemand weiß, ob der, mit dem er gerade redet, nicht morgen schon ein Superstar ist, ist er einfach schon heute total freundlich zu ihm. Gefällt mir, die Einstellung.
Champagner trinkend plaudere ich mit Typen in Jeansanzügen und mit Frauen in Glitterkleidern, und da ich bei Themen wie Musik, Plattenlabels, Bühnenshows und Konzertmanagement nicht mithalten kann, rede ich einfach über andere Dinge. Aber selbst das scheint gut anzukommen.
Nach ein paar Minuten bin ich bei einer Spitzenblondine in stelzenhohen Stöckelschuhen angekommen, die ebenfalls Tyra heißt. »Bist du nicht der Drummer von Silverfish ?«, fragt sie mich und steht mit so wenig Abstand neben mir, dass ich von ihrer Intimspray-Duftwolke fast ohnmächtig werde.
Bea hatte mir vorhin den Tipp gegeben, einfach immer mitzuspielen, ganz egal, was jemand sagt oder fragt. There’s no business like showbusiness . »Ja, klar. Aber ich spiel den Bass. Wie fandst du unser letztes Album?«
»Heiß. Total heiß, Süßer.«
»Mit ein bisschen Glück bekommen wir Platin. Und die Konzerte in Japan sind schon restlos ausgebucht. Und nächstes Jahr nehmen wir ein Album mit Bob Marley auf.«
Tyra stößt ein hysterisches Lachen aus, als hätte ich einen besonders guten Witz gemacht. Ein paar Leute sehen neu gierig zu uns hinüber. Sie schmiegt sich noch dichter an mich. »Hast du eigentlich was für die Stimmung dabei?«, fragt sie mich dann. Ich sehe Tyra an und merke, dass ihre Augen wie Metall strahlen und ihre Nasenlöcher so ausgefranst sind wie eine alte Strickjacke. Offenbar muss sie Stoff tanken, weil sie sonst leerläuft wie eine Aufziehpuppe.
»Wie wäre es mit einem Drink?«, schlage ich vor.
»Langweilig.«
»Tut mir leid. Mit etwas anderem kann ich dir nicht helfen«, sage ich, blicke mich aber suchend um, ob nicht zufällig ein Dealer in der Nähe ist, der mir aus der Klemme helfen könnte. Zu spät. Tyra ist enttäuscht und gibt sich keine Mühe, es zu verbergen. »Kennst du nicht wenigstens jemanden, der etwas hat? Wäre doch lustig. Du, warte mal kurz, ich sehe da jemanden …«
Sie löst sich von mir, zielt und torkelt los wie ein Flugzeug, dem das Kerosin ausgegangen ist und das jetzt im Segelflug den nächsten Flughafen ansteuert.
»Süß, die Kleine, oder? Aber leider total krank«, sagt jemand hinter mir.
»Und ich bin kein Arzt«, sage ich, drehe mich um und sehe in ein Gesicht, das mir bekannt vorkommt. Bin mir aber nicht ganz sicher, woher.
»Hallo, Stefan. Sag bloß, du erinnerst dich nicht an mich.«
Ich sehe sie an und nach und nach steigen immer größere Erinnerungsblasen aus den Tiefen meines von Wodka und Cachaca lädierten Gedächtnisses auf. »Natürlich. Du bist die Frau, die bei Albrecht Sonnenheim von ihrem Freund nach Hause geschleift wurde. Und das, obwohl wir uns gerade so nett unterhalten haben … Claudia, stimmt’s?«
»Stimmt. Aber er hat mich nicht geschleift, sondern höchstens gezerrt.«
Ich sehe sie nachdenklich an, und dann fällt mir wieder ein, dass der Abend mit ihr eigentlich ziemlich klasse war. Und dass er an einer vielversprechenden Stelle unterbrochen wurde.
22:11 Uhr: Sitze mit Claudia auf einer Polsterlandschaft im Cateringbereich, betrinke mich mit Champagner und versuche, verlorenes Terrain wiedergutzumachen. Wir sind die einzigen Gäste, da alle anderen inzwischen in der Halle verschwunden sind, wo gerade Deutschlands berühmteste Hardrockband zu spielen beginnt, nachdem die Mitglieder ihre Rollatoren gegen die Instrumente eingetauscht haben.
Claudias Groll ist zum Glück komplett verflogen und jetzt
plaudern wir entspannt miteinander. »Wie kommst du eigentlich hierher, Stefan? Ich dachte, du bist Makler und nicht Musiker!«, fragt sie mich.
»Meine Schwester ist in der Branche«, erkläre ich ihr. »Ich bin nur Zuschauer. Aber es gefällt mir. Interessante Leute, spannend, vielseitig. Echt klasse.«
»Ja, echt irre. Und alle sind so unglaublich natürlich …«
» The Show must go on . Aber was ist mit dir? Bist du etwa Musikerin?«
»Quatsch. Ich habe mich von einem Freund überreden lassen, der meinte, ich sollte mal wieder unter Leute. Die letzte Zeit war nicht so lustig für mich. Vielleicht erinnerst du dich an
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