Herrgottschrofen
meine Schrazen nicht verhungern! Basta!« Er leerte die Halbe mit einem langen Zug und knallte das Glas auf den Bierfilz. Damit war klar: Thomas Suldinger hatte »basta« nicht nur gesagt, sondern auch gemeint.
»Ehrt dich ja, Tomboy, deine Solidarität mit deinem Chef. Aber da ist was faul an der Knochensache, das hab ich im Urin. Und du weißt, darauf ist Verlass.«
Suldinger beugte sich weit über den Tisch und flüsterte: »Ja, ja, Verlass. Du hast leicht reden, Gonzo. Wenn sie dich hier erneut rausschmeißen, so wie damals, gehst du halt wieder weg aus dem Ort. Aber ich? Ich bin hier angehängt. Wenn ich beim Brechtl untendurch bin, dann krieg ich auch woanders keinen Job mehr. Nicht amal bei der Gemeinde. Und die nehmen sonst jeden. Aber der Brechtl hat seine Finger überall drin. Der macht dich alle, wenn er will. Zumindest mich. Und du solltest auch aufpassen. Der schaltet genug Anzeigen im Tagblatt, dass er auch bei denen ein Wörterl mitzureden hat.«
Auch wenn der Suldinger seinen Unterhalt »nur« mit Erdbewegungen verdiente, so wusste er offenbar doch, wie der Hase in Garmisch-Partenkirchen lief. Wahrscheinlich wusste einer, der sein Leben auf Baustellen und in Kneipen verbrachte, sogar mehr als ein erst kürzlich wieder zurückgekehrter Lokalreporter.
»Ja, aber a bissl rumhorchen, des wird doch möglich sein, Tomboy«, drängte Hartinger.
»Ich hab’s schon gesagt – nein und nochmals nein. Ich setz mich in den Bagger und schaufel das weg, was mir mein Chef sagt. Und damit reicht’s. – Svetlana, noch eine Halbe auf dem Herrn Hartinger seinen Deckel!«
Die platinblonde Weißrussin, die die Eisstockhütte hinter dem Kainzenbad betrieb, hatte vorauseilend bereits das Bier gezapft. Sie stakste auf ihren Stilettos um die Theke herum, stellte das Glas auf Suldingers Untersetzer und machte auf Hartingers Deckel einen Strich. Währenddessen sah sie ihn mit einer Spur zu wasserblauen Augen an, die zwischen den angeklebten Wimpern herausleuchteten. »Und für Monsieur? Auch noch Halbe?«
»Ja, aber ab jetzt bleifrei, Mademoiselle«, flirtete Hartinger zurück, nachdem sein Blick wieder aus den Tiefen von Svetlanas beeindruckendem Dekolleté emporgetaucht war.
Svetlana tänzelte wieder hinter ihren Tresen, um Hartingers Bleifreies einzuschenken. Suldinger lehnte sich über den Tisch und kam mit seinem Schnauzbart ganz dicht an Hartingers Ohr heran. »Des kannst auch vergessen, Gonzo. Scharfes Gerät, ohne Frage. Aber da hat auch der Bagger-Toni seine Hand drauf.«
»Und seine Finger drin?«, witzelte Hartinger.
»Des darfst aber glauben. Der Brechtl lässt nix anbrennen. So einen Kracher wie die Svetlana holt der schon mal mit seinem Jeep ab und fährt mit ihr in die Hütte an der Loisach.«
»Flüstern ist Lügen!«, unterbrach das Objekt der Männerunterhaltung dieselbige.
»Passt scho, Svetlana. Es geht ausnahmsweise nicht um deinen süßen Hintern«, log Suldinger.
»Um was dann? Fund von Knochen? Hat Toni mir alles erzählt. Ist altes Zeug. Nächste Woche wird weitergebohrt.«
Hartinger sah sich die Eisstockhüttenbetreiberin genau an. Sie war die Informationsquelle, an die er herankommen musste. Machte mit ihr bestimmt auch mehr Spaß als mit dem eingeschüchterten Suldinger. Nur würde er es mit dem tollen Jeep oder gar dem Hubschrauber des reichen Bauunternehmers Anton Brechtl, der im Tal nur Bagger-Toni genannt wurde, schwer aufnehmen können. Er musste eine andere Karte ausspielen.
»Wo wir gerade davon reden, Tomboy, also vom Thema Hintern«, sagte er so laut, dass es auch die Gäste draußen vor der Hütte hören konnten, die auf dem Eisstockplatz bereits auf Asphalt schossen. »Ich hab doch den Typen von der BILD-Zeitung kennengelernt. Der macht jetzt die Seite-eins-Mädels und sucht ständig nach guten Figuren mit guten Geschichten, wie er sagt. Ich kann ihm da jederzeit Probeaufnahmen schicken, meint er. Fällt dir da nicht jemand aus dem Ort ein? Du, da haben schon manche einen fetten Vertrag mit einer Modelagentur bekommen, nachdem sie da vorn drauf waren.«
Hartinger hatte zwar schon läuten hören, dass die Seite-eins-Girls der Verlegerin schon seit einiger Zeit ein Dorn im Auge waren, doch solange die Mädels noch jeden Tag ihre Vorzüge auf Europas größter Tageszeitung darboten, konnte er Svetlana sicherlich damit ködern, und tatsächlich konnte er förmlich sehen, wie ihr die Ohren aus der Achtzigerjahre-Dauerwelle wuchsen.
Der Baggerfahrer Thomas Suldinger
Weitere Kostenlose Bücher