Herrgottswinkel
Frau werden?«
Es gab kein Entkommen. »Ja«, erwiderte sie und schaute zu Boden.
Anton war außer sich vor Freude. Er umfasste Annas schmale Taille mit beiden Armen und wirbelte sie einmal um ihre gemeinsame Achse in dem geräumigen Treppenhaus herum. Anna jedoch machte sich gleich wieder von ihm los, murmelte, dass sie in die Küche müsse, und stürmte die Treppe hinunter.
Sie heirateten im engsten Familienkreis. Anna trug ihr lindgrünes Sommerdirndl, das ihr nun eher ein Stück zu weit war. Sie sah nicht gut aus. Mit brüchiger Stimme antwortete sie: »Ja, ich will«, als der Pfarrer sie fragte, ob sie Anton in guten wie in schlechten Tagen beistehen wolle.
Wusste er eigentlich, was er da sagte? Was er da verlangte? Ja, mit ihrem Daniel, da wäre sie sehr wohl bis ans Ende der Welt gegangen, aber was war das für ein Gott, der ihr nach einem Sommer des Glücks den Liebsten wieder entrissen hatte? Der ihr den Mann nahm, den sie noch nicht einmal richtig kennengelernt hatte? Nein, so ein Glück wie mit Daniel würde sie nie mehr erleben, so etwas bekam man nur einmal geschenkt.
Als sie Anton verstohlen musterte, musste sie sich eingestehen, dass er ein stattlicher Mann war. Seine braunen Augen, die etwas tief lagen und von leicht bläulichen Schatten umgeben waren, blickten angestrengt auf den Altar. Sein Gesicht war leicht gebräunt und sein schwarzes Haar begann sich an den Schläfen schon silbern zu verfärben. Er hatte schöne Hände, kräftig und doch feingliedrig, obwohl sie gezeichnet waren von der harten Arbeit eines Bauern.
Anna hatte der Predigt des Pfarrers kaum zugehört, so sehr war sie mit ihren Gedanken abgeschweift, aber das Versprechen, ihn zu lieben und zu ehren, das hatte sie bei vollem Bewusstsein abgegeben. Ja, sie wollte ihm eine gute Frau sein, denn auch er hatte sich ihr gegenüber stets als guter Mann gezeigt. Er ließ sie gewähren. Er vertraute ihr. Auch dass sie weiter den Sommer auf die Alpe ging, um dort für drei Monate als Sennerin zu arbeiten, hatte er ihr nach anfänglichem Zögern noch vor der Hochzeit zugestanden. Allerdings hätte sie sich diese Freiheit auch nicht mehr nehmen lassen!
Aber wie sie es auch drehte und wendete, es gab einen Punkt, mit dem sie noch nicht ihren Frieden geschlossen hatte, es vielleicht nie tun würde. Dieses Thema spukte ihr während des restlichen Gottesdienstes und der nachfolgenden kleinen Feier unermüdlich durch den Kopf. Wenn sie Anton eine gute Frau sein wollte, wenn ihre Vorsätze und Versprechen wirklich ernst gemeint waren, dann musste sie ihre Verpflichtungen auch bis zur letzten Konsequenz einhalten. Dem Thema Beischlaf und der näher rückenden Hochzeitsnacht würde sie nicht entkommen.
Anna versuchte, den Gedanken beiseitezuschieben, und richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Hochzeitsgesellschaft, die ungewöhnlich schweigsam den Schweinebraten mit Kraut und Semmelknödeln verzehrte, den Annas Mutter in der Küche von Antons Hof zubereitet hatte. Es wollte so gar keine Stimmung aufkommen, nicht einmal das ausgezeichnete Essen konnte das ändern. Die kleine Johanna sprang in der Stube umher und spielte mit den Holzpferdchen, die ihre beiden Onkel geschnitzt hatten.
Als der Pfarrer und sein Messner sich zum Aufbruch anschickten, wurde Anna ganz nervös und begann, hektisch den Tisch abzuräumen. Rumpler und Bumpler saßen vor dem Haus auf dem Bänkchen und rauchten ohne ein Wort ihre Zigarren. Annas Vater sprach mit Anton in der Stube über den bevorstehenden Sommer und die Viehpreise, während Anna in der Küche das Geschirr abwusch. Da bemerkte Annas Mutter, die ihr zur Hand ging und das Geschirr in die Schränke zurückräumte, plötzlich, dass ihre Tochter leise vor sich hin weinte.
Mitfühlend sah sie ihre Tochter an, dann legte sie sanft ihre Hand auf Annas Unterarm. »Sieh mich an, Anna! Man kann im Leben alles, man muss es nur von Herzen wollen.«
Anna schluchzte nur noch lauter und presste plötzlich mit tränenerstickter Stimme hervor: »Ich will ja, aber ich bin noch nicht so weit!« Da wurde ihr Gespräch abrupt von Annas Vater unterbrochen, der in die Küche trat und seine Frau zum Aufbruch drängte.
Am Nachmittag stiegen die Frischvermählten mit Johanna aufs Bolsterlanger Horn. Die Kleine saß auf Antons Schultern und ihre gute Laune war so ansteckend, dass es schließlich auch den Eheleuten gelang, ein ungezwungenes Gespräch zu führen. Doch immer, wenn Anton seiner Frau zu nahe kam oder sie auch nur leicht
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