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Herrgottswinkel

Herrgottswinkel

Titel: Herrgottswinkel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ramona Ziegler
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hartnäckig über die Wintermonate eingenistet und bis weit über den Frühling hinaus gedauert hatte, waren die beiden auf der Alpe – auch aufgrund von Annas Kräuterwissen – wieder losgeworden.
    Viel zu schnell waren die drei Monate vergangen, und die beiden mussten wieder hinunter nach Bolsterlang zu Anton und seinen Brüdern, die von Jahr zu Jahr sonderbarer wurden. In den Folgejahren wurde Anna zwar einige Male schwanger, doch Antons Wunsch nach einem Stammhalter ging nicht in Erfüllung, da sie stets einen Abgang hatte. Auch in Anna war inzwischen der Kinderwunsch wieder erwacht, denn Johanna war nun schon größer und hätte auf das neue Geschwisterchen aufpassen können, aber es sollte wohl nicht sein! Anton gab ihr die Schuld dafür und immer wieder kam es zu Spannungen und Streit. Sie konnte zusehen, wie sich ihr zuvorkommender, bisweilen sogar zärtlicher Mann nach und nach verwandelte. Streitsüchtig, verbockt und voller Selbstmitleid wurde er ein häufiger Gast im Wirtshaus und wenn er dann nach Hause kam, war er richtig unausstehlich. Sogar Johanna gegenüber entwickelte er Gefühle von Abneigung, Eifersucht und Wut, insbesondere, wenn er getrunken hatte. Dann sperrte Anna ihn aus ihrem Zimmer und er musste in der Stube nächtigen. Dort unten konnte sie ihn oft die ganze Nacht toben hören, so haderte er mit der Welt und seinem Schicksal.
    Dann, ganz plötzlich, überschlugen sich die Ereignisse: Bumpler kam auf tragische Weise im Holz ums Leben. Ein schwerer Schlag für Rumpler, der sich die Schuld an dem Unfall gab – und für Anton, der sein Leben mit den Brüdern geteilt hatte und nun noch mehr Grund dafür sah, ins Wirtshaus zu gehen. Im darauffolgenden Frühjahr konnte Rumpler eines Morgens nicht mehr aufstehen, ein Schlaganfall war wohl die Ursache. Drei Tage später war auch er tot. Der Pfarrer vermutete in seiner Beerdigungsrede, Rumpler habe wohl ohne seinen jüngeren Bruder nicht weiterleben wollen, mit dem er sich schließlich ein Leben lang fast ohne Worte verstanden habe. Überhaupt nahmen in diesem Jahr die Beerdigungen kein Ende. Einen Monat nachdem Rumpler unter der Erde war, verstarb nach langer Krankheit auch der alte Gundler, dessen Münzbeutel Anna noch immer für Johanna verwahrte. Ihre frühere Schwiegermutter hielt es nicht einmal für nötig, einen Leichenschmaus für ihn abzuhalten, er musste mit einem kargen Begräbnis vorliebnehmen. Obwohl Anna sich fürchtete, noch einmal mit dieser bösen Frau zusammenzutreffen, ging sie auf den Friedhof, um sich von diesem herzensguten Mann, der so gar nichts von seinem Leben gehabt hatte, zu verabschieden und zu zeigen, wie sehr sie ihn geschätzt hatte.
    Es war wenig überraschend, dass sie dort auf Burgel traf, die sie allerdings kaum wiedererkannte, so dick und unbeweglich war sie geworden. Wohl, um die täglichen Schikanen ihrer Mutter ertragen zu können, hatte sie sich einen übermäßigen Fettpanzer angefressen. Sie begegnete Anna wieder mit der gewohnten Kühle und Arroganz von früher und hatte es sichtlich nicht geschafft, sich aus den Klauen der übermächtigen Mutter zu befreien.
    Trotz des traurigen Anlasses freute sich Anna sehr, als sie auch Henne unter den Trauernden stehen sah. Nachdem alle anderen den Friedhof verlassen hatten, gingen Anna und Henne zusammen in den nahe gelegenen Brauereigasthof ›Engel‹, um nach der langen Zeit wieder einmal miteinander zu schwätzen.
    »Nach unserem letzten Treffen hab ich mich einfach nicht getraut, bei dir vorbeizukommen«, meinte Henne und schüttelte sich, weil er den scharfen Obstler zu hastig hinuntergeschluckt hatte. »Du hast so seltsam auf meine Umarmung reagiert, dass ich nicht wusste, ob du meine Nähe überhaupt willst.«
    »Und jetzt ist es zu spät«, entgegnete Anna ernst. »Wie du weißt, bin ich wieder verheiratet.« Dann stand sie auf, weil sie das Gespräch doch zu sehr aufwühlte, und verabschiedete sich schnell von ihm, der gar nicht wusste, wie ihm geschah und was er falsch gemacht haben könnte. Henne blieb allein in der Gaststube sitzen.
    Jahre darauf, es war wohl Ende Juni, denn nur zu dieser Zeit verströmten die Wiesen auf Rangiswang gegen Abend jenen Duft, von dem einem schwindlig werden konnte, saßen Johanna und sie auf dem Bänkchen in der Alpe beim Milchrühren und Anna erzählte ihrer Tochter zum ersten Mal von ihrem richtigen Vater. Obwohl das Mädchen gerade einmal zwölf Jahre alt war, hörte sie aufmerksam zu und fragte anschließend traurig

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