Herrgottswinkel
berührte, zuckte sie zurück.
Rumpler und Bumpler waren mit der Stallarbeit schon fast fertig, als Anna, Anton und Johanna am frühen Abend von ihrem Ausflug zurückkamen. »Heute machen wir die Arbeit für dich mit, ausnahmsweise und nur, weil du ja noch Wichtiges vorhast«, begrüßte sie Rumpler, und die beiden Brüder grinsten von einem Ohr zum anderen.
Beim Abendessen wechselten sie vor lauter Anspannung kein Wort miteinander und wenn sich ihre Blicke zufällig trafen, schaute Anna sofort errötend zur Seite. Bald darauf brachte Anna ihre Tochter zu Bett, die nach der Anstrengung des Tages sofort einschlief. Anna wusch sich und zog ihr frisches Nachthemd über. Dann legte sie sich in ihr Bett und wartete.
Sie hörte, wie sich die Zimmertür leise öffnete. Anton trat an ihr Bett, entkleidete sich und kroch zu ihr unter die Bettdecke. Zuerst nahm er sie nur in den Arm und strich ihr beruhigend über den Rücken. Er legte sein Gesicht an ihre Wange. Lange blieben sie reglos in dieser Stellung liegen. Dann flüsterte er ihr ins Ohr, wie schön er sie fände, wie begehrenswert sie sei und dass er sie gern ganz spüren würde, deswegen solle sie doch ihr Nachthemd ausziehen, das nur stören würde. Danach ging alles sehr schnell, und rückblickend musste Anna zugeben, dass sie sich an fast nichts erinnern konnte, außer, dass sie gedacht hatte, sie wolle um Himmels willen nicht gleich wieder ein Kind bekommen. Jedenfalls hatte sie den Eindruck, dass Anton zufrieden einschlief, und sie schlich kurz darauf aus dem Zimmer und ging mit einer Schüssel Essigwasser hinter dem Hof auf das stille Örtchen, wo sie sich gründlich wusch. Das Wasser verursachte einen leicht brennenden Schmerz, aber sie würde alles in ihrer Macht Stehende tun, um eine Schwangerschaft zu verhindern. Dafür fühlte sie sich momentan einfach nicht genug bei Kräften, außerdem hätte sie mit zwei oder gar noch mehr Kindern jeden Ge danken an einen Sommer auf der Alpe aufgeben müssen. Und ihre dort oben errungene Freiheit war mit das Kostbarste, was sie besaß.
Zurück im warmen Bett schlief auch sie sofort ein und erwachte erst, als die Sonne schon hell im Zimmer stand und Johanna zu ihr unter die Decke schlüpfte. Der Platz neben ihr im Bett war leer und unten in der Küche erwartete sie die schönste Überraschung der letzten Monate: ein liebevoll dekoriertes Frühstück, das ihr Anton zubereitet haben musste, bevor er sich zusammen mit seinen Brüdern zur morgendlichen Stallarbeit aufgemacht hatte.
In den folgenden Wochen konnte es Anna kaum erwarten, auf die Alpe zu kommen. Fieberhaft zählte sie jeden Tag, bis es endlich so weit war. Die letzten Tage vor ihrem Aufstieg vergingen dann doch wie im Flug, und an Pfingsten, das dieses Jahr sehr früh lag, hatte Anna die alte eisenbeschlagene Truhe mit dem Nötigsten für sich selbst und Johanna gepackt. Plötzlich versuchte Anton sie, ganz entgegen seines vor der Hochzeit gegebenen Versprechens, doch noch umzustimmen, aber Anna blieb hart und verfolgte ungerührt ihr Vorhaben. Keine zehn Pferde hätten sie davon abbringen können!
»Ihr seid vorher auch ohne mich ausgekommen«, erwiderte Anna ihm. »Allerdings will ich keinen solchen Saustall mehr vorfinden, wenn ich im Herbst zurückkomme.« Sie hatte bereits einer Nachbarin den Auftrag gegeben, mindestens jeden zweiten Tag im Hause Berkmann nach dem Rechten zu sehen und einzugreifen, sobald das nötig sein sollte. Nach dem Sommer wollte Anna sie von ihrem eigenen Geld dafür entlohnen.
Schlussendlich blieb Anton nichts anderes übrig, als klein beizugeben, denn seine frühere Zusage konnte er schlecht zurücknehmen, und Anna verbrachte drei himmlische Monate in der frischen Bergluft zusammen mit ihrer Tochter. So klein Johanna auch noch war, so schien sie hier oben doch viel ausgeglichener und konnte sich gar nicht sattsehen an den vielen wild lebenden Tieren wie Gams und Adler, Luchs und Auerhahn – und natürlich den zahlreichen Gebirgspflanzen, deren Namen Anna ihr stets aufs Neue nennen musste. Aber die beiden lebten nicht nur körperlich auf, von dieser Landschaft schien ein Zauber auszugehen, der auch ihre Seelen berührte. Endlich gab es genug Luft und Raum zum Atmen, und Anna genoss es, nach getaner Arbeit einfach im Gras liegend in den Himmel zu blicken und dabei die Natur in sich aufzunehmen, die in dieser Höhe besonders intensiv zu ›leben‹ schien. Johanna gedieh prächtig, und manch schwere Erkältung, die sich
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